Die wichtigste Sehenswürdigkeit in Gondar ist die Palaststadt Gemp. Sie beansprucht eine sieben Hektar große Fläche im Zentrum der Stadt und wird von den im 17. und 18. Jahrhundert erbauten Palästen und Prunkbauten geprägt. Vor Ort erfahren wir, warum Kaiser Fasilides diesen Ort für seinen Palast wählte.
So berichtet eine Legende von einem älteren Mann, der ihm hier bei einem Reitausflug erschienen sein soll. Der Alte wusste, dass Fasilides die Gegend nach einem neuen Lager durchsuchte, und prophezeite ihm eine erfolgreiche Regierungszeit, wenn er an dieser Stelle seinen Palast errichten würde.
Ob es diesen alten Mann wirklich gegeben hat, ist nicht überliefert. Auch liegt im Dunkeln, warum Fasilides das Wanderdasein gegen eine dauerhafte Residenz eintauschte. Es wird lediglich vermutet, dass er sich vor religiös motivierten Unruhen zurückziehen wollte, die sein Land schon zu Zeiten seines Vaters erfasst hatten. Sicher aber ist, dass Fasilides 1636 den Befehl gab, auf dem bis dahin bewaldeten Hügel einen steinernen Palast zu errichten.
In der Folgezeit sind immer wieder neue Paläste auf dem Gemp entstanden, die sich je nach Epoche leicht voneinander unterscheiden. Wobei offenbar jeder Herrscher Ort und Beschaffenheit seines Palastes ganz nach seinem eigenen Geschmack gewählt hat. Mit der Folge, dass die Anordnung der Gebäude wirkt, als sei sie zufällig so entstanden. Damit ist es etwas schwierig, sich im Palastbezirk auf Anhieb zurechtzufinden.
Aber zum Glück haben wir ja Yitbarek an unserer Seite. Zielsicher führt er uns vom Wember-Tor, dem heutigen Eingang von Gemp, zum Palast des Fasilides. Nachdem dieser erst hinter einzeln stehenden Zedern verdeckt ist, öffnet sich allmählich die Sicht auf die nach Süden gewandten Seiten und drei der vier Rundtürme an den Ecken des Palastes. Der vom Eingang aus gesehen rechte Rundturm ist mit einem eckigen Turm verbunden. Mit 32 Metern überragt er all die anderen Türme. In ihm sind die Privatgemächer des Kaisers untergebracht. Sie sind mit einer Dachterrasse verbunden, von der sich der Palastbezirk überblicken lässt.
Nach den ersten, äußerlichen Eindrücken kommen wir auf der linken Seite des Palastes zu einer gewaltigen Steintreppe. Auf 34 Stufen und durch einen plump wirkenden Bogen führt sie uns im Palastinneren zu drei hohen Räumen. Zu allen Seiten gibt es Balkone, die uns einen guten Überblick über Gemp bieten. Allein sie zu betreten erfordert etwas Mut. Wer sich auf die alten Balken traut, wird dafür mit einer tollen Sicht auf die benachbarte Bibliothek und, dahinter, den Beamtenpalast belohnt. Hübsch anzusehen sind außerdem die Rundbögen im Palastinnern und die Vorratsnischen in den dicken Mauern.
Über eine zweite, etwas waghalsig wirkende Treppe verlassen wir den Palast des Fasilides. Durch die wenigen Reste vom Bau des Johannes I., Fasilides' Sohn, gelangen wir als Nächstes zum Palast Iyassu I.. Dieser geht auf Fasilides Enkel, Kaiser Iyasu dem Großen, zurück. Eines seiner Anliegen war, eine gut funktionierende Verwaltung aufzubauen. Unter seinem Wirken wurden theologische und religöse Fragen erörtert und einige Gesetze und Reformen verabschiedet, welche dem Handel zugute kamen.
Gemessen an seinem politischen Wirken hat sein Palast mit einer Größe von 24 auf 14 Meter und zwei Stockwerken relativ bescheidene Ausmaße. Leider ist außerdem der Blick vom Empfangs- und Festraum in der unteren Etage zum Himmel frei. Das Dach und die Decke kamen runter, als die Engländer im Zweiten Weltkrieg das von den Italienern gehaltene Gondar bombardierten. Doch tragisch endete auch schon das Leben von Kaiser Iyasu I.; er wurde 1706 von seiner Frau ermordet.
Nachdem wir erneut an den spärlichen Resten mehrerer Grundmauern vorbeikommen, erreichen wir die Bibliothek von Gemp. Sie wird dem Kaiser Johannis I. zugeschrieben, auch wenn es dafür keine eindeutigen Urkunden gibt. Dafür ist der sehr gut erhaltene Bau ein eindrucksvoller Beleg für den Aufschwung der Kunst während der Kaiserzeit. Neben Texten mit religiösen und geschichtlichen Inhalten wurden hier auch Märchen und Sagen niedergeschrieben, die zuvor nur mündlich von einer Generation zur nächsten überliefert wurden.
Uns zieht es hingegen gleich weiter zu der Ruine vom Beamtenpalast. Das trotz seines schlechten Zustands begehbare Gebäude bietet uns eine schöne Sicht von Westen über die Bibliothek zum Palast des Fasilidas. Anschließend begeben wir uns in den nördlichen Teil von Gemp, wo wir den Löwenkäfig passieren. Er geht auf die Tradition zurück, dass am Hof immer auch einige Wappentiere gehalten wurden. Der gute Zustand des Käfigs lässt sich dadurch erklären, dass es noch Anfang der 1990er Jahre Löwen in Gondar gab.
Rechts vom Löwenkäfig befindet sich die lang gezogene Festhalle von Kaiser David III.. Das Bet Zofan bzw. Haus des Throns genannte Gebäude wurde für Kundgebungen, Empfänge und kaiserliche Feste genutzt. Wer den langen Saal sieht und selber tanzt, erkennt in dem Festraum den idealen Raum für einen schwungvollen Wiener Walzer. Zum Tanzen aber kommen wir zu spät. Bei Unruhen zur Zeit von Kaiser Iyasu II. (1723 - 1755) wurde die Festhalle in Brand gesteckt. Und was die Flammen nicht zerstörten, nahmen die Soldaten mit sich.
Auf der Rückseite der Halle lohnt sich auf dem Weg zum Elfin-Tor ein Abstecher zu den ehemaligen kaiserlichen Bädern. Leider wurden auch diese durch das britische Bombardement 1941 schwer getroffen. Die Sauna ist mitsamt dem von außen befeuerten Saunaofen aber noch gut zu erkennen. Mit der Erkenntnis, dass es auch die Kaiser gerne mal warm hatten, folgen wir Yitbarek über die Asasame-Mikael-Kirche zum Palast der Kaiserin Mentawab. Es ist der nördlichste Palast von Gemp und, so vermutet man, der letzte, der hier gebaut wurde.
Dafür spricht, dass sich der Palast der Kaiserin von den anderen darin unterscheidet, dass die Fassade einige Elemente enthält, die an den anderen Gebäuden von Gemp fehlen, dafür aber am später erbauten Palast von Kusquam zu finden sind. Nachdem der Kaiserinnenpalast von den Italienern restauriert wurde, diente er zeitweise als Souvenirshop und Büro der Angestellten von Gemp.
Einen Steinwurf weiter westlich kommen wir zur Festhalle des Kaisers Bekaffa. Wie die Festhalle von Kaiser David III. besteht auch sie aus einem länglichen Gebäude, allerdings mit dem Unterschied, dass der Saal weitgehend erhalten blieb bzw. in den 1930er Jahren mit einem Betondach versehen wurde. Als Besonderheit bildet die nördliche Mauer des Saals zugleich die Außenmauer von Gemp.
Daneben eröffnet uns der Blick aus dem Festsaal eine schöne Sicht auf den Palast von Kaiserin Mentawab und einen der Wachtürme. Bei dem Festsaal und den davor errichteten (dachlosen) Pferdeställen endet dann auch unser Rundgang und verlassen wir den Palastbezirk durch das von Bäumen und mehrere Meter hohen Weihnachtssteinen umgebene Ras Tor. Nicht aber, ohne die schicksalsträchtige Geschichte von Kaiser Bekaffa gehört zu haben.
Demnach soll ihm während seiner Kindheit ein Teil der Nase abgeschnitten worden sein, um ihn als Thronfolger ungeeignet zu machen. Das Unterfangen schlug fehl: nach dem frühen Tod von Kaiser Iyasu II. wurde er trotz heftiger Widerstände zu dessen Nachfolger gekrönt. Für die Menschen stellte sich dies als Glücksfall heraus. Denn unter Bekaffa erlebte das Land eine überwiegend friedliche Zeit, in der die Wirtschaft florierte.