Mursi - das Volk der Tellerlippen

Im kleinen Dorf der Halbnomaden

In einem Dorf der Mursi angekommen, wollen wir eigentlich deren Kultur kennenlernen. Da das gesamte Dorf auf unsere Geländewagen zurennt, ergreifen wir zunächst die Flucht. Zwischen den kleinen Strohhütten ist bald nichts mehr los,

sodass wir uns ein Bild vom Lebensraum der Mursi machen können. Der Local-Guide ist mit uns geflohen. So haben wir jetzt einen nützlichen Übersetzer und eine Infoquelle.

Ein Staudamm gefährdet die Halbnomaden

Die Mursi selbst sind Halbnomaden und Hirtenvölker. Sie leben in den Flusslandschaften der beiden Flüsse Omo und Mago. Die jährliche Überschwemmungen der Flüsse machen das Land fruchtbar und bieten den Mursi eine wichtige Quelle der Ernährung. Die Völker sind durch die Regenzeiten jedoch dazu gezwungen, ihre Lebenspunkte zu verändern. Dann ziehen sie in sichere Orte. Doch sie leben in kleinen, runden Hütten aus Lehm und Holz. Diese sind relativ stabil gebaut.

Nach den Überschwemmungen können sie an ihre vertrauten Wohnorte zurückkehren und ihre kleinen Heime wieder bewohnen. Leider gefährdet ein Staudammprojekt am Unterlauf des Omo die außergewöhnliche Existenz der Mursi. Das Bauwerk wird dem Volk das benötigte Wasser für den Ackerbau und die Rinder nehmen. Die Entscheidung für diesen Irrsinn hat die äthiopische Regierung natürlich ohne Zustimmung der Naturvölker getroffen.

Für die Tellerlippen der Mursi müssen Schneidezähne weichen

Bekannt ist das Volk der Mursi durch die typischen Tellerlippen der Frauen. Die Mädchen bekommen spätestens im Alter von 15 Jahren von der Mutter die Unterlippe durchstochen. Dieses Loch wird dann nach und nach durch immer dickere Stöcke erweitert. Sobald die Öffnung groß genug ist, kommen die Tonteller zum Einsatz und die vorderen, unteren Schneidezähne müssen weichen. Der Lippenteller ist ein wichtiges Symbol der Frauen. Er soll Stärke und hohe Selbstachtung ausdrücken.

Manche sagen, der Brautwert wäre abhängig von der Tellergröße. Andere erzählen, man hätte die Mädchen in der Zeit der Sklaverei verunstaltet, damit sie für die Sklavenhalter unattraktiv waren. Vielleicht ist es auch ein weibliches Schönheitsideal der Mursi? Wir wissen es nicht und begegnen auch einigen Frauen auch ohne diesem Schmuck. Die Mursi selbst reden nicht über historische Erzählungen und sie ignorieren die Geschichten, welche über sie berichtet werden.

Die Tellerlippen der Mursi sind ein beliebtes Fotomotiv

Nach einer Weile begegnen wir im Dorf auch wieder Frauen, da nicht alle zu den Autos gerannt sind. So bekommen wir viel nettere Motive. Die Mursi waren einst ein zurückgezogenes Volk in Äthiopien. Auf Unbekanntes reagierten sie leicht aggressiv. Sie leben noch immer fernab der Zivilisation und können mit ihren Traditionen größtenteils ohne Geld auskommen. Die Besuche der Touristen haben sie weitgehend akzeptiert. Sie haben damit aber auch den Wert des Geldes kennengelernt.

Kurzum, bei den Mursi muss für jedes Foto bezahlt werden, was für sie eine gute – und oft wichtigste – Einnahmequelle ist. Man sollte sich nicht vor einer Bezahlung drücken, schon alleine um Ärger zu vermeiden. Da sich Filmen im leeren Dorf nicht rentiert hätte, ist Lars mit dem Fotografieren beschäftigt, während ich die Rechnung begleiche. Eine solche Arbeitsteilung erspart uns den Stress, den andere aus der Gruppe abbekommen.

Die Männer tauschen das Geld in billigen Schnaps

Von den Männern halten wir uns fern. Zum einen stört mich die Bewaffnung mit Gewehren. Zum anderen ist bekannt, dass sie ihr Fotogeld später in billigen Schnaps eintauschen und sich besaufen. Ist wohl ein weltweites Problem unter den Naturvölkern.

Als wir zurück zu den Jeeps kehren, wird es dann doch kurz stressig. Einige der Mitreisende sitzen schon wieder im Auto, da ihnen der Trubel und das Betteln zu viel ist. Jeder will Geld verdienen und fotografiert werden, ob alt oder jung.

Besonders aufdringlich sind Mütter mit Kleinkindern. Sobald die Kamera auf sie gerichtet ist, wird das Baby vom Rücken schnell nach vorne gezogen und somit ist der Preis erhöht. Trotz allem ist der Besuch bei den Mursi ein Erlebnis.

Schöner wäre es allerdings, wenn sie sich natürlich geben würden und im Dorf blieben. So ist die kurze Runde, die wir zu den Hütten und den wenig im Dorf verbliebenen Frauen gemacht haben, die schönste Erfahrung, die wir aus dem Mago Nationalpark mitnehmen.

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