Naksansa Tempel des Bodhisattva

Idyllischer Tempelkomplex über dem Ostmeer

Badewetter sieht anders aus. An unserem ersten Tag am koreanischen Ostmeer treibt der Taifun Mitag unentwegt graue Wolken vom Meer gegen die Küstenregion. Zum Glück hat das Seebad Naksan außer dem Strand und das Meer noch weitere Sehenswürdigkeiten zu bieten, die außerdem fußläufig erreichbar sind. Denn nach der Anreise von Seoul wollen wir das Auto lieber stehen lassen. Da wir den kompletten Mittag frei für Unternehmungen haben, spazieren wir also in Richtung des Naksan Berges, dem Obongsan. Hier befindet sich der Naksansa Tempel, ein buddhistischer Tempelkomplex des Jogye-Ordens. Bereits am Fuße des Berges sbnd wir froh, gelaufen zu sein. Am Ende der Straße stauen sich die Autos, während die Fahrer auf frei werdende Parkplätze warten. Uns kann es recht sein. So lange die Leute im Auto hocken, bleibt mehr Platz im Tempel. Wobei dort auch so genug los ist. Die Koreaner sehen im Naksansa Tempel ebenfalls ein dankbares Ersatzprogramm während der Pazifischen Taifunsaison.

Im Naksansa Tempel angekommen, wird außerdem deutlich, dass die Gegend bei Nicht-Asiaten bislang weitgehend unbekannt ist. Wir sind die einzigen Europäer, die gerade hier herumspazieren. Leider gibt es deswegen keinerlei englischsprachige Orientierungspläne oder sonstige Flyer für den Tempel zum Mitnehmen. Anders als in Seouls Palästen, läuft hier niemand im Hanbok herum. Dafür aber kann das schlechte Wetter verantwortlich sein. Dem Selfie-Wahn sind die Koreaner allerdings auch hier verfallen. Wer will es ihnen verdenken? Farbenfrohe Gelegenheiten gibt es auf dem weitläufigen Areal genug.

Wenige Schritte vom Eingang entfernt, befindet sich gegenüber dem Andenkengeschäft die erste Ausstellungshalle. Vielleicht ist sie eher eine Andenkenhalle mit Ausstellungsstücken aus der Vergangenheit des Tempels. Naksansa wurde im Jahr 671 von Uisang, einem buddhistischen Mönch und Großmeister, gegründet. Er gehört zu den bekanntesten Mönchen Koreas. Als er während der Tang-Dynastie von seiner Chinareise zurückkehrte, kam er an den Obongsan. Hier soll der Bodhisattva, ein Erleuchtungswesen des Buddhismus, zusammen mit seinem Wächterdrachen, in einer Höhle gelebt haben. Uisang hoffte, dem Bodhisattva zu begegnen, um für sich Erleuchtung zu erlangen. Seine Meditation wirkte Wunder. Uisang wurde von Bodhisattva angewiesen, an den Hängen des Obongsan Berges einen Tempel zu erbauen.

Der große Waldbrand bei Naksansa

Es entstand der erste Tempel Ostasiens, der dem Bodhisattva gewidmet wurde. Im Jahr 858 wurde Naksansa erstmals runderneuert und in den folgenden Jahrhunderten mehrmals umgebaut und erweitert. Wie so viele kulturhistorische Stätten Koreas wurde die Anlage im Koreakrieg zerstört. 1953 errichtete man den Tempelkomplex neu. Schon ein halbes Jahrhundert später erfolgte der nächste Rückschlag: Am 5. April 2005 heizten kräftige Winde einen Waldbrand an, sodass sich die Flammen bis zum Naksansa Tempel durchfraßen und wertvolle Kulturgüter vernichteten. Die Macht des Feuers lässt sich gut an der Naksansa Dongjong, einer Bronzeglocke, ablesen, die in der Hitze des Feuers dahinschmolz. Die geschmolzenen Überreste sind in der Ausstellungshalle ausgestellt, während die Replik heute wieder einen Glockenpavillon ziert.

Hinter der Ausstellungshalle führt ein Weg entlang der Steilküste zum Uisangdae Pavillon. Es ist die Stelle, an der Uisang meditiert und mit Bodhisattva Kontakt aufgenommen hatte. Umgeben von Kiefern, fügt sich der Uisangdae harmonisch an die steilen Küstenklippen. Der Naksansa gehört zu den wenigen küstennahen Tempeln. Dabei ist besonders dieser Pavillon für seine Schönheit bekannt. Eine entsprechend große Anziehungskraft übt der Pavillon auf die koreanischen Besucher aus, sodass sie sich hier gegenseitig auf die Füße treten.

Hongnyeonam – der Tempel über dem Meer

Mindestens genauso idyllisch finden wir den Hongnyeonam. Dieser kleine Tempel wurde von Uisang als Eremitage oberhalb einer Steinhöhle erbaut. Als Besonderheit befindet sich im Boden eine Öffnung von zehn auf zehn Zentimetern, durch die wir auf das heute tosende Meer blicken können. Zum Glück ist das Heiligtum den Gläubigen als Gebetsstätte vorbehalten. Andernfalls wäre die Öffnung ähnlich belagert wie der Uisangdae Pavillon. So aber verhalten sich die Koreaner diszipliniert und betreten das Gebäude tatsächlich nur zum Beten und Aufhängen ihrer Wünsche an der Decke.

Kunstvoll geschnitzte Drachenköpfe zieren die Gebäude des Naksana Tempel. Dies schließt wohl auf den wachenden Gefährten des Bodhisattva. Um das Rätsel vom Frosch mit der Kugel zu lösen, müssten wir jedoch die Gebrüder Grimm fragen. Dabei scheinen auch die Brunnen am Berg heilig zu sein. Mal werden sie von einem Phönix, dann wieder von einer Avalokiteshvara-Statue gespeist. Für die Koreanerinnen geben sie Anlass, das Smartphone kurz beiseite zu legen, um sich mit der Schöpfkelle einen Schluck Wasser zu gönnen. Wer will, kann sich anschließend beim nächsten Tempelgebäude am Reiskuchen bedienen. Er bedeutet den Gläubigen Reinheit, Glück, Erneuerung und Leben.

Weiter bergan führt uns der Weg zu einen Lotusteich. Mittendrin sitzt ein dicker Buddha und freut sich lachend über die vielen Münzen, welche inzwischen seinen Korb füllen. Oberhalb des Teiches befinden sich die Hallen des Botajeon. Es sind die repräsentativen heiligen Stätten des Tempelkomplexes. Hier finden die gläubigen Buddhisten einen Platz zum Beten und wir zum Ausruhen. In der bunten Seitenhalle hängen Lotusblüten von der Decke, Drachen wachen über den Raum, Königs- und Buddha-Statuen sind am Meditieren. Es ist ein herrlicher Ort der Ruhe, der von wirklich niemandem gestört wird.

Haesugwaneumsang bei Naksansa

Granitstatue der Göttin der Barmherzigkeit

Die meisten Besucher haben den Haesugwaneumsang als Ziel. Grund ist die Gwaneum-Statue als eine der berühmtesten buddhistischen Schätze in Naksansa. Durch ihren erhöhten Standort und ihre Größe mit 15 Metern Höhe ist die 1977 geschaffene Granitstatue kaum zu übersehen. Die Statue Avalokiteshvaras steht mit ihrem langen Schleiergewand auf Lotusblüten und symbolisiert die Göttin der Barmherzigkeit und des universellen Mitgefühls. In der Hand hält sie ein Gefäß mit dem Nektar der Unsterblichkeit. Das Anbeten dieser Statue ist zu einem festen Bestandteil der Reiseroute koreanischer Ostmeer-Touristen geworden. Durch sie hat sich Naksansa zu einer Art Wallfahrtsort und Pilgerstätte für koreanische Buddhisten entwickelt.

Vielleicht ist es auch deshalb so andächtig ruhig auf der Plattform der Statue. Zumindest solange, bis Lars eine Bronzeglocke findet. Die meisten Holzstangen solcher Glocken sind festgebunden, damit nicht ständig einer gongt. Hier oben ist der Glockenklang jedoch gewollt. Während die Koreaner der Stange zaghaft anschubsen, nimmt Lars herzhaft Schwung. Na ja, mir klingeln die Ohren, während die Schwingungen der tiefen Töne selbst Minuten später noch wahrzunehmen sind. Doch Lars strahlt wie ein Brezelbub, was ja das Wichtigste ist. Die Koreaner sehen ein solches Verhalten übrigens gelassen. Schließlich strahlt die Glocke mit ihrem Klang eine spirituelle Kraft aus – und eben diese sollte im Umkreis von mehreren hundert Metern nun wirklich jeden erreicht haben.

Chilcheungseoktap – die siebenstöckige Steinpagode

Im hinteren Teil des Naksansa Tempel finden wir ein weiteres Heiligtum der Anlage. Es ist die Chilcheungseoktap, die Siebenstöckige Steinpagode. Ursprünglich wurde sie von Uisang als dreistöckige Pagode erbaut. Doch 1467 wurde sie auf sieben Stöcke erhöht. Im Innern soll ein Chintamani, ein Wunschjuwel eingeschlossen sein. Mit ihren 6,20 Metern ist sie eine typische Pagode der Joseon-Zeit. Ganz in der Nähe steht ein weiterer Glockenpavillon mit der Nachbildung der Naksansa Dongjong.

Durch das Sacheonwang-mun, dem Tor der vier himmlischen Königsmächte, kehren wir schließlich wieder zurück zum Ausgang. Es gibt viel zu sehen im Naksansa Tempel und der Spaziergang hindurch wird nie langweilig. Doch leider werden die Wolken zunehmend dunkler und beginnt es zu tröpfeln. Taifun Mitag hält die Küstenregion am Ostmeer noch immer in Atem und wird uns später mit gewaltigen Wassermassen ärgern. So sputen wir uns, um vor dem nächsten großen Schauer wieder im Hotel zu sein.

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