Andong und das Seongjingol Mural Village

Ein Glockenreplikat und die große Fressgasse

Wir wechseln von Gangwon-do in die südlich angrenzende Provinz Gyeongsangbuk-do. Gegen Abend erreichen wir Andong. Mit etwas über 185.000 Einwohnern ist Andong zwar die größte Stadt im nördlichen Teil der Provinz. Doch für koreanische Verhältnisse zählt sie dennoch zu den Kleinstädten. Tatsächlich wirkt die Anreise durch die landwirtschaftlich geprägte Umgebung in die Innenstadt so gar nicht großstädtisch. Das ist uns eigentlich ganz recht. Denn das gebuchte Goryeo Hotel befindet sich im Zentrum der Stadt und besitzt laut der Hotelbeschreibung einen eigenen Parkplatz.

Denn so viele Freiheiten und Möglichkeiten einem der Leihwagen auch eröffnet, so nervig ist dessen Unterbringung in den Städten. Das große »P« beim Goryeo Hotel sieht vielversprechend aus. Etwas befremdlich wirkt jedoch der Vorhang davor, der aus dicken, schwarzen Schnüren besteht. Als Lars schon beschließt, einfach blindlings hindurchzufahren, da schwingen die Schnüre wie von Geisterhand gezogen zur Seite. Dahinter eröffnet sich uns ein geräumiger, halb in das Gebäude integrierter Parkplatz. Das ist schön, denn wir wollen so schnell wie möglich einchecken und dann gleich wieder los. Schließlich haben wir mal wieder seit dem Frühstück nichts gegessen.

Die »Speis-und-Trank-Straße« von Andong

Das Stadtzentrum von Andong ist recht übersichtlich. Von unserem Hotel aus ist alles fußläufig gut zu erreichen. Und die »Speis-und-Trank-Straße« klingt vielversprechend. Diese befindet sich in der Parallelstraße zu unserem Hotel. Leider sind wir zu früh dran. Die meisten Restaurants haben noch geschlossen. Zum Glück haben wir bereits bei der Anreise eine rettende Paris Baguette Boulangerie nahe dem Hotel gesehen und finden diese sogleich wieder. Damit hat sich auch das Problem mit dem nächsten Frühstück in Wohlgefallen aufgelöst.

Woongbu Park und die Bürgerglocke

Gegenüber der Boulangerie befindet sich der Woongbu Park. Am Eingang sitzt das Friedensmädchen von Andong. Der Park ist in der Geschichte der Stadt ein Ort des Ruhms, der Freude und Trauer. Von der Goryeo bis zur Joseon-Dynastie war hier das Hauptquartier des Andong Daedohobu, des großen Protektorats des Ostens. Später beeinflusste der chinesische Konfuzianismus die Gegend. Die Lehren des Philosophen prägen die Gesellschaft von Andong bis dato. Im Juli 1950 erlebte Andong einen heftigen Kampf zwischen nord- und südkoreanischen Verbänden. Fast sämtliche Gebäude der Stadt wurden zerstört. Daraufhin wurde auf dem Platz des Woongbu Parks das Bezirksbüro von Andong errichtet, 1995 jedoch wieder abgerissen. Mit dem Abriss verschwanden die Spuren von der historischen Bedeutung dieses Parks.

Doch die Bewohner Andongs sind stolz auf ihre Geschichte und ihre Traditionen. Die Stadt ließ eine Bürgerglocke erstellen, welche der Bronzeglocke aus dem Sangwonsa Tempel nachempfunden ist. Mit einem Gewicht von über zwei Tonnen zählt sie zu den größten ihrer Art. Dabei die Stange der Glocke so befestigt, dass es selbst Lars verwehrt bleibt, die ganze Stadt mit einem Schlag in Schwingung zu versetzen. Zusammen mit der Bronzeglocke wurden die Pavillons Daedongru und Yeonggaheon in ihrer ursprünglichen Form rekonstruiert. Die Bürger wählten den Namen »Woongbu Park« und haben sich so einen Ort der Erholung geschaffen. Hier triff man sich, lümmelt herum und feiert im Herbst das Andong Folk- und Masken-Festival.

Wir starten einen zweiten Versuch mit der Fressgasse. Durch ein dekoratives Holztor führt uns der Weg in die inzwischen gut beleuchtete Straße. Im nächsten Moment haben wir einmal mehr die Qual der Wahl, die uns allerdings ein netter Mann mit großem Wok abnimmt. Er verspricht, uns eine große Hähnchen- und Gemüsepfanne zu kredenzen, welche Europäer gerecht entschärft ist. Und diese macht er so gut, dass wir am zweiten Abend zu seiner Freude wieder bei ihm einkehren. Wir lernen hier eine Gruppe Italiener kennen, welche das gleiche Wo-was-essen-Problem plagt. Als wir sie später nochmals treffen, haben sie sich zu Zweier und Dreiergrüppchen aufgelöst. Dies scheint unter Touristen ganz normal zu sein.

Koreanische Streetart im Seongjingol Mural Village

Am zweiten Tag wollen wir das Seongjingol Mural Village von Andong kennenlernen. Über den Woongbu Park laufen wir an der europäisch wirkenden Kirche vorbei und nehmen links die Taesa-gil, die steil hinaufführt. Oben angelangt, staunen wir, wie gut das Kartenmaterial in unserem Wandernavi ist. Es zeigt einen schmalen Fußweg, der knapp am Komplex des Catholic Sangji College vorbeiführt. Wir machen einen Abstecher zum Oglyeonsa Tempel, von wo wir eine schöne Sicht auf das Seongjingol Mural Village und die weißen Wohnblocks im Hintergrund haben. Der Tempel sieht mit seinen vielen Spinnennetzen etwas verwaist aus. Auch der schmale Wanderweg ist alles andere als gepflegt. Doch er bringt uns zur Seongjin-gil, einer Straße, die ein Tal durch das Seongjingol Mural Village bildet.

Wie der Name vielleicht erkennen lässt, steht das Seongjingol Mural Village auf verschiedenen Mauerstufen, die über schmale, teils sehr steile Wege miteinander verbunden sind. Es ist ein kleines Dorf mit Hanoks und terrassierten Gärten, die dicht mit Kohl, Paprika und Wurzelgemüse bepflanzt sind. Die Hauswände sind hübsch und aufwendig bemalt. Überall sitzen Statuen von Kindern, Häschen und Katzen. Das Dorf wirkt verspielt, ist aber bewohnt. In den Höfen und auf den Bänken werden Chilischoten getrocknet. Es sind die fiesen roten Schoten, die das koreanische Essen so höllisch scharf machen und manch eine europäische Zunge zur Kapitulation zwingen.

Haedongsa Tempel und die Steinpagode von Hadongsa

Nach dem Spaziergang durch das Seongjingol Mural Village wollen wir eigentlich schon wieder zurück zur Innenstadt. Doch gerade wird die Steinpagode von Hadongsa so schön von der Sonne angestrahlt, dass sie uns zu einem Abstecher verleitet. Die Sipseon-daebotab, wie die Pagode genannt wird, ist ein Symbol des Glaubens. In ihr werden Buddha-Reliquien aus Sri Lanka aufbewahrt. Am Fuße der Pagode stehen auf einer Tafel die Weisheiten der sieben alten Buddhas. Es ist eine Art Gebrauchsanweisung, um die Erleuchtung seiner selbst zu erlangen. Da kann ein Besuch im Haedongsa Tempel gleich nebenan nicht schaden, denkt sich Lars, und huscht sogleich durch die Eingangstüren des Tempels.

Ist das Gebäude öffentlich zugänglich oder verspielen wir mal wieder unser Nirvana? Mir ist unwohl, doch Lars kennt da nichts. Brav ziehen wir die Schuhe aus und spazieren durch die Gebäude des Haedongsa. Das Interieur des Tempels ist schlicht gehalten. Farbenfrohe Gemälde erzählen bildlich die Geschichten Buddhas. Ebenfalls wunderschön anzusehen sind die geschnitzten Lotosblüten an den Fenstergittern. Die beiden Leute, denen wir im Tempel begegnen, grüßen freundlich. Mehr noch, eine Frau deutet auf ein Regal, in das wir unsere Schuhe für die Zeit im Tempel stellen können. So fühle ich mich gleich viel wohler und willkommen. Lars hat ja Recht: man muss sich hin und wieder etwas trauen. Und Andong ist eine kleine Stadt, in der man sich so richtig wohl fühlen kann.

Stadtrundgang durch Andong

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