Albi ist unsere nächste Übernachtungsstation in den Midi-Pyrénées. Fern der ruhigen Natur sind wir diesmal mitten in der quirligen Altstadt. In den verwinkelten Gassen des mittelalterlichen Zentrums sind alle bedeutenden Sehenswürdigkeiten, wie die Cathédrale Saint-Cécile und das Palais de la Berbie, fußläufig sehr gut zu erreichen. Und mit dem Stadtplan vom Hotel Saint Claire ausgestattet, finden wir uns gut zurecht.
Eindrücke von unseren Ausflügen in den Midi-Pyrénées in Südfrankreich.
Die ehemalige Bischofsstadt an den Ufern des Tarn wird auch »Albi, la Rouge« genannt – ihr Zentrum ist ein Juwel aus rotem Backstein. Trotzdem war es die Farbe Blau, der wir die Gebäude aus den Goldenen Zeiten der Stadt zu verdanken haben. Der Handel mit Pastel, »dem blauen Gold« bescherte der Stadt während ihrer Blütezeit großen Reichtum. Dabei war bis ins 12. Jahrhundert hinein eigentlich Rot die angesagte Farbe, während Blau den Armen zugeschrieben wurde. Das änderte sich mit den unfermentierten und getrockneten Färberwaid-Bällchen, die einen weltweiten Handel mit dem Pastel auslösten. Neue Techniken schufen bessere Qualitäten und der Farbstoff entwickelte sich zum Luxusartikel, den jeder haben und nutzen wollte.
Mit luxuriösen Wohnpalästen stellten die Händler ihren Reichtum offen zur Schau. Da aber auch Albi unsichere Zeiten überstehen musste, war die Altstadt von einer Stadtmauer umgeben, die bis ins 18. Jahrhundert hinein größere Schäden abzuwenden vermochte. Albi blieb sowohl vom Hundertjährigen Krieg, den Religionskriegen als auch den Albigenserkreuzzügen weitgehend verschont. Bemerkenswert ist dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die von Papst Innozenz III. verfolgten Katharer durch ihr Wirken in der Stadt auch als Albigenser bekannt waren. Während der Albigenserkreuzzug (1209 – 1229) den Untergang der Katharer einleitete, haben neben den alten Gebäuden auch zahlreiche Kulturgüter die Jahrhunderte überdauert. Einzig gegen die Schwarze Pest waren die Mauern und Stadttore machtlos. Sie raffte gleich zu Beginn des Hundertjährigen Kriegs (1337 – 1453) fast die Hälfte der Einwohner dahin.
Nach der Französischen Revolution wurde Albi zur Hauptstadt des neu gegründeten Departements Tarn ernannt. Später profitierte die Stadt von den expandierenden Kohleminen bei Carmaux-Cagnac, da für den Abtransport auf dem Tarn Brückenzoll entrichtet werden musste. Daneben sorgten die Metallverarbeitung und Hutherstellung für den Wohlstand von Albi. Heute ist sie die drittgrößte Stadt der Midi-Pyrénées und mit drei Fakultäten auch als Universitätsstadt von Bedeutung.
Albi hat nur einen Mangel, der aber wohl für ganz Frankreich gilt. Nachdem wir bei der Anreise in Moissac ein kleines Frühstück bekommen haben, danach Montauban besichtigt und in Albi einen ersten Stadtbummel unternommen haben, kommt am späten Nachmittag doch ein Hungergefühl auf. Doch wir sind in Frankreich. Hier sollen schon Touristen verhungert sein. Es gibt zwar jede Menge Restaurants, die auf großen Schildern mit verschiedensten Leckereien werben. Leider öffnen die Küchen jedoch erst um sieben Uhr abends – oder noch später. Als Alternative bieten die Patisserien jede Menge Süßes an. Oder man lenkt sich in den zahlreichen Friseurgeschäften oder Boutiquen für Lingerie vom Hunger ab, bis dann endlich die ersten Restaurants öffnen.
Wie eine Festung herrscht die Cathédrale Saint-Cécile über der Altstadt von Albi. Turmartig streben die Außenwände steil zum Himmel. Im Auftrag von Bischof Bernard de Castanet begannen die Arbeiten an dem mächtigen Bauwerk im Jahr 1282. Zu dem Zeitpunkt waren die Albigenserkriege noch fest in der Erinnerung der Menschen verankert. Als Konsequenz wurde die Kathedrale wie eine Wehrkirche mit bis zu sechs Meter dicken Außenmauern erbaut. Damit ist die Saint-Cécile die weltweit größte aus Ziegelstein erbaute Kathedrale. Zugleich gilt sie als Meisterwerk der mediterranen Gotik.
Der Kontrast zwischen dem festungsartigen Äußeren und dem künstlerisch reich ausgestatteten Inneren ist gewaltig. Bei unserem Besuch ist der Haupteingang geschlossen. Wir sollen zum Westportal. Bei bedecktem Himmel und ohne entsprechende Wegweiser ist dieses gar nicht so leicht zu finden. Irgendwie gelangen wir aber doch bald zu dem versteckten Nebeneingang. Hier betreten wir eine gewaltige Schatzkiste mit aufwendigen Schnitzereien und Fresken im Stil der Frührenaissance. Passend zur goldenen Pastel-Zeit von Albi schimmern die Wände und das Kreuzrippengewölbe in einem prächtigen Blau. Darauf wurden in Gold und Silber Akanthusblätter gemalt. Auf den Flächen dazwischen vollenden Darstellungen des Himmels und Christus in Gloria das Kunstwerk. Die von italienischen Malern aus Bologna durchgeführte Meisterleistung musste bis dato nie restauriert werden.
Der Chor ist das »Allerheiligste« der Kathedrale. Hier sangen die Domherren zu Ehren Gottes den Dienst und lasen die tägliche Messe. Er ist durch den Lettner, einer kunstvoll gestalteten Wand, vom Kirchenschiff getrennt. Umgeben ist der Chor von einem in Kalkstein gearbeiteten filigranen Meisterwerk im Flamboyantstil, welches ihn zum prächtigsten Chor von ganz Frankreich macht. Die Statuen außerhalb des Chores schildern Figuren aus dem Alten Testament, und innerhalb, aus dem Neuen Testament.
Ein unbekannter franko-flämischer Maler schuf zwischen 1474 und 1484 an der Westwand des Kirchenschiffs mit einem Ausmaß von 270m² eine der weltweit größten Fresken. Es gehört zu den bedeutendsten Kunstwerken des Mittelalters und stellt das Jüngste Gericht dar. Es zeigt sehr real die grauenvollen Strafen, welche die Verdammten erleiden müssen. Darüber steht den selig Gesprochenen der Himmel offen. Leider ist das Kunstwerk unvollständig. So musste die Darstellung von »Christus in seiner Heiligkeit« einem von Monsignore Le Goux de la Berchère in Auftrag gegebenen, direkten Zugang zur Kapelle Saint-Clair, weichen. 1693 fielen gut ein Drittel des mit Fresken verzierten Rundbogens diesem Frevel zum Opfer.
In der selben Epoche wie die Cathédrale Saint-Cécile entstand nur einen Katzensprung davon entfernt der Palais de la Berbie, der alte Bischofspalast von Albi. Neben den Bischöfen diente er auch den Inquisitoren als Amtssitz, weshalb der Palais ebenfalls einer Festung gleicht. Zurzeit der Katharerfeldzüge war der Palast zur Machtdemonstration allerdings einiges wehrhafter ausgestattet. Mehrere Türmchen, Wehrgänge und Pechnasen sollten die »Andersdenkenden« einschüchtern. Nach dem Ende der Religionskriege ließ Henri IV. einen Großteil davon wieder entfernen. So wurde der 50 Meter hohe Turm Saint-Catherine mit seinen bis zu sieben Meter dicken Mauern abgetragen.
Nach den Kreuzzügen und der Inquisition sollten die Bischöfe das Image des bis dahin bewusst abschreckenden Gebäudes aufbessern. Aus der Festung wurde ein freundlicher Bischofspalast, der heute teilweise für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Der Palast zählt mittlerweile zum UNESCO-Welterbe und beherbergt seit 1924 ein Museum über Henri Toulouse-Lautrec.
Doch das schönste für uns befindet sich im Herzen der Bischofsstadt, der Barockgarten des Palais de la Berbie. Der Zugang erfolgt über die Nordwestseite des Palastes. Zwischen dem Barockgarten und dem nur wenige Meter entfernten Tarn ist eine Promenade frei zugänglich. Von hier aus blicken wir auf die symmetrisch angelegten Beete im Parterre vor dem Palast. Wenden wir uns dem Tarn zu, öffnet sich ein herrlicher Blick über den Fluss auf die mittelalterlichen Brücken und die gegenüberliegenden Stadtteile von Albi. Alles zusammen finden wir hier einen richtig schönen und ruhigen Ort in der Stadt.
In Albi entpuppt sich die Suche nach dem Hotel Saint Claire als Hindernislauf. Das Navi meckert schon bei der Zieleingabe, da sich das Hotel in einer Fußgängerzone befindet. Da wir wissen, dass das Hotel eine kleine Garage besitzt, belassen wir die Adresse bei. Zunächst gibt sich unser Navi damit zufrieden. Doch kaum nähern wir uns der Altstadt von Albi, ermahnt sie uns alle paar Sekunden, dass wir uns einen alternativen Parkplatz suchen sollen. Wie oft fliegen so Navis aus dem Fenster? Wir bleiben hartnäckig – sie auch! Leider sind obendrein einige Gassen wegen Bauarbeiten in der Altstadt gesperrt. »Die Route wird neu berechnet.« 'Vehicles may not be allowed at the destination. Find parking near the destination.' Ignorieren, wegklicken, wegklicken, wegklicken ... So irren wir durch die Altstadt, bis wir halb zufällig, halb durch das Gesetz der Wahrscheinlichkeit vor dem Hotel Saint Claire stehen. Laut Reiseführer sollen wir davor halten, die Koffer ausladen und das Hupen hinter uns ignorieren. Und schon hupt es. Auch die Boutique-Besitzerin, bei der wir flugs parken, zeigt wenig Begeisterung. Nach der Litanei unseres Navis fühlt es sich fast freundlich an. Wir nehmen unsere Taschen und checken erst einmal ein.
Passend zu den Altstadtgassen ist auch das Hotel Saint Claire recht winzig. In der kleine Lobby werden wir sehr freundlich empfangen und können sogleich die schmalen Stiegen nach oben zu unserem Zimmer nehmen. Es ist einer der Räume, für den das Wort »winzig« erfunden wurde. Wir müssen nicht abschließen. Wir könnten das Zimmer einfach zusammenfalten, in die Hosentasche stecken und mitnehmen. Scherz! Aber würden wir das Zimmer auf die Seite kippen, hätten wir tatsächlich mehr Platz. Der Mensch ist einfach zu unflexibel. Für zwei Nächte ist das in Ordnung, zumal wir ja mitten in der Altstadt sind.
Der Frühstücksraum ist passend zum restlichen Hotel natürlich ebenfalls winzig, dafür liebevoll eingerichtet. Im Sommer ist es möglich, in dem engen Seitenhof im Freien zu frühstücken. Das Büfett ist auf dem Klavier und auf dem Fenstersims hergerichtet und bietet eine gute Auswahl. Leckeres Brot und Gebäck, einiges an Marmelade, eine Müsliecke und frisches Obst, alles nur zwei, maximal drei Schritte vom Tisch entfernt. Wir sind zufrieden und fühlen uns in dem kleinen Hotel richtig wohl, auch weil mit modernem, französischem Salsa und Tango Argentino Musik zu zwei unserer Lieblingstänze läuft. Nur das Auto parken wir – außer beim Ein- und Auschecken - lieber auf dem nahe gelegenen Parkplatz der Kathedrale. Da bleibt es zumindest vom Abschleppwagen verschont.