Das Sprichwort mit dem frühen Vogel und seinem Wurm soll ja neben Irland auch für Burgen in anderen Ländern gelten. Genau aus diesem Grund wollen wir vor dem großen Andrang beim Edinburgh Castle sein. Vom Zimmer unseres Hotels aus blicken wir direkt zur Festung auf dem Castle Rock.
Nach einem ausgiebigen Frühstück schlendern wir also zeitig los. Allerdings vertun wir uns ganz schön beim Zeiteinschätzen. Es geht zwar steil bergauf, aber der Weg ist leicht und schnell gemeistert. So erreichen wir 20 Minuten vor Einlass die breite Esplanade, den Paradeplatz vor dem Castle.
Rundgang durch Edinburgh Castle mit der Argyle Battery, der Meg Mons und dem Tierfriedhof. Aufnahme der Wachablösung. Eindrücke vom Kriegsgefängnis der Burg.
Schon auf dem Vorplatz lässt sich erkennen, warum der Castle Rock der ideale Ort für eine Verteidigungsanlage ist. Der 115 Meter hohe Basaltkegel eines erloschenen Vulkans fällt auf drei Seiten fast senkrecht ab, wodurch das Plateau nur von einer Seite aus bequem zu erreichen ist. Deshalb lebten hier auch schon Menschen vor dem Bau der ersten Festung. Die ältesten Besiedlungsspuren stammen aus dem 9. Jahrhundert vor Christus.
Im 6. Jahrhundert nach Christus wurden die ersten Befestigungsanlagen erstellt und fortan immer wieder erweitert und der aktuellen Kriegsführung angepasst. Somit wuchs die Festung langsam und sind ältere Gebäude innerhalb der Anlage zu finden. Zusammen mit den mächtigen Festungsmauern war es damit weder Freund noch Feind, unbehelligt ins Innere vom Edinburgh Castle vorzustoßen.
Und das ist es auch heute nicht immer. Denn da Edinburgh Castle nur über das Gatehouse zugänglich ist, kommt es allmorgendlich zu einem leichten Konflikt zwischen den wartenden Touristen und dem genervten Türsteher. Die Burgangestellten muss er ja vor der Öffnung reinlassen, sodass sich das schwere Tor immer wieder kurz öffnet. Unglücklicherweise nehmen das die Chinesen (und auch ein paar Koreaner) als Anlass, sich ebenfalls in Bewegung zu setzen.
Einzig sein lautes Brüllen hindert sie daran, das Tor zu stürmen. Wie getretene Hunde trollen sie sich und reihen sich eingeschüchtert bei den anderen Wartenden ein. Nachdem sich ähnliche Szenen noch ein paar mal wiederholen, bekommen wir draußen eine Einweisung, wer bitte links (Besucher mit Ticket) und wer rechts (Besucher ohne Ticket) anstehen soll. Gleich danach können wir endlich durch den Torbogen eintreten.
Foogs Gate und Aussicht vom Edinburgh Castle
Nach dem Eingang passieren wir als Erstes die hohe und halbrunde Half Moon Battery aus dem 16. Jahrhundert. Die Kanonen schauen in unsere Richtung. Immerhin sollten sie den Zugang zur Burg von der Stadtseite schützen. Hoffen wir mal für die übereifrigen Chinesen, dass die Männer am Tor nie die Nerven verlieren. Und falls doch, dass ihnen genug Zeit bleibt, um zur Seite auszuweichen. Oder schnell genug sind, um über das Porticullis-Tor die Batterien Argyle und Mills Mount zu erreichen.
Letztere ist der Traditionsplatz der One´OClock Gun. Täglich, exakt um 13 Uhr, wird hier mit viel Aufhebens ein Kanonenschuss abgeböllert. Diente dieser Service früher den Schiffskapitänen im Firth of Forth um ihre Uhr zu stellen, so erfreuen sich jetzt die Touristen daran. Heute ist aber Sonntag, womit der Böller ausfällt. Da herrscht hier Stille, sodass wir in Ruhe unseren Blick über die Stadt schweifen lassen können.
Auch wenn schon zur Öffnungszeit zahlreiche Besucher in die Burg strömen, verteilen sich diese recht gut auf der gesamten Anlage. Da die Mons Meg zu den beliebtesten Objekten im Castle zählt, genießt sie bei uns dennoch höchste Priorität. Nachdem wir durch das Foog´s Gate gelaufen sind, ist diese auch gleich gefunden. Die gewaltige Kanone gilt als der Inbegriff eines schottischen Rohrkrepierers. Ziel der Kanone war es, bis zu zwei Meilen weit schießen zu können. Tatsächlich aber zerbarst sie schon bei einem Salutschuss für den Duke of York.
Besonders tragisch war dies für den armen Trommler, dem bei dem Spektakel der Kopf abgerissen wurde. Er ist aber nicht zu verwechseln mit dem kopflosen Musikant, der seit 1650 über die Anlage spukt. Auch wenn die Mons Meg schon einem Menschen den Kopf gekostet hat, will heute fast jeder Besucher sein Haupt in die Kanone stecken und Faxen machen. Daran kann auch das Schild nichts ändern, welches direkt vor der Kanone darum bittet, »die alte Lady mit Ehrfurcht zu behandeln«.
Mons Meg im Edinburgh Castle
Ganz anders sieht es bei der kleinen Kapelle neben der Mons Meg aus, wo die meisten Besucher wie von selbst die Stimme senken. Die Saint Margaret´s Chapel ist immerhin das älteste erhaltene Gebäude von Edinburgh Castle. Im romanischen Baustil und mit schlichter Ausstattung wurde sie 1090 gebaut und der heiliggesprochenen Königin Margareth, der Gemahlin von Malcolm III. Canmore, geweiht. Der einzige Schmuck der Kapelle sind die wunderschönen bunten Fenster.
Neben Festungsanlagen und Kanonen gibt es auf Edinburgh Castle noch etliches mehr zu sehen. Einige Gebäude wurden zu Museen ausgestattet, andere dienen als Gedenkstätte. Eines der schönsten Memorials ist der Hundefriedhof rechts unterhalb der Mons Meg. Liebevoll, an einem der idyllischsten Plätze im Freien, wird den Vierbeinern gewürdigt.
Deutlich prunkvoller und pompöser ist da das Scottish War Memorial Museum. Aus Granit behauene Tafeln erinnern darin an den Ersten Weltkrieg. Auf der »Roll of Honour« sollen die Namen von über 100.000 Gefallenen aufgelistet sein.
Außerhalb des Kriegsmuseums versammeln sich inzwischen einige Touristengruppen. Es ist Wachablösung. Schwer bewaffnet und mit Kilt, Kiltsocken, Spats (weiße Gamaschen) und Long-Hair-Sporran bekleidet, stampfen die Wachmänner streng und schwer über das Pflaster und lösen ihre Kollegen ab. Alles läuft nach einem strikt einzuhaltenden Plan.
Doch kaum ist das Spektakel beendet, verfliegt die Strenge. Rita und ich schnappen uns einen Mann im Rock und drehen ihn für ein Foto zur Sonne: alles kein Problem. Nachdem auch andere die Gelegenheit für ein Foto nutzen, nutzt er dann selbst die erstbeste Gelegenheit, um dem Trubel zu entfliehen.
Als Nächstes suchen wir den Königlichen Palast auf. Neben mehreren schön getäfelten Wohnräumen kann auch der Raum besichtigt werden, in dem Maria Stuart ihren Sohn, dem späteren König Jakob VI., das Leben schenkte. Der Höhepunkt im Palast aber bilden die schottischen Kronjuwelen. Die ersten Könige setzten sich noch schlicht auf den »Stein des Schicksals«, um den Bund zwischen Herrscher, Land und Volk zu symbolisieren.
1306 wurde Robert the Bruce mit einem Reif aus Gold gekrönt. Dieser Reif soll der Legende nach Bestandteil der heutigen Krone sein. Aber erst James IV. erhielt eine sogenannte Königskrone, welche mit gewölbten Bügeln überspannt ist. Immer wieder wurden die »Ehrenzeichen« im Laufe der Jahre verändert und mit Gold und kostbaren Steinen neu geschaffen.
Nach der Krönung von Charles II. mussten die Reichsinsignien zum Schutz nach Dunnottar Castle gebracht werden. Als die Engländer auch diese Burg ins Visier nahmen, wurden die schottischen Kronjuwelen aus der Burg geschmuggelt und bis zum Tod Cromwells in der Kirche von Kinneff versteckt. 1707 symbolisierten sie als ihre letzte Funktion die Vereinigung von England und Schottland zu einem Land, indem das Zepter die »Articles of Union« berührte.
Danach schlummerten sie 111 Jahre im Verborgenen, bevor sie wiedergefunden und im »Crown Room« für die Öffentlichkeit ausgestellt wurden. So können wir in dem dunklen und kleinen Raum die mit Perlen und Edelsteinen besetzte Goldkrone, den vergoldeten Zepter mit einer Weltkugel aus Bergkristall und das königliche Amtsschwert betrachten. Es gibt größere Kronen und Zepter in Großbritannien, aber diese sind älter und haben eine bewegte Vergangenheit.
Das Military Prison verschafft den Besucher einen Eindruck in das Haftleben im letzten Jahrhundert. Immerhin war das Gefängnis bis 1923 in Gebrauch. Dass es mit Sicherheit schlimmer geht zeigt sich im »The Vaults«. Hier wurden schon 1720 Piraten aus der Karibik beherbergt, von denen die allermeisten am Galgen endeten.
Militärgefängnis von Edinburgh Castle
Die ersten Kriegsgefangenen waren Franzosen, die bald nach Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs mit Frankreich, im Jahre 1758 in die Burg gebracht wurden. Fluchtversuche endeten oft mit dem Tod. So versteckte sich einer der Gefangenen in der Mistkarre. Blöderweise wurde der Inhalt über die Burgmauer gekippt und er zerschmetterte unterhalb des Burgfelsen.
Genug von Kriegsgeschehen und Grausamkeiten suchen wir die Tea Rooms auf. In einem stilvoll und elegant gestalteten Raum genießen wir unseren traditionellen Nachmittagstee mit hausgemachten Kuchen. Wenn man bedenkt, dass sich die Besucher zu dieser Zeit bereits durch andere Teile der Festung schieben und bei der Mons Meg Schlange stehen, ist dieser ruhige Ort ideal geschaffen, um die vielen Eindrücke in sich nachhallen zu lassen. Hier endet dann auch unser Rundgang mit dem guten Gefühl, ein paar schöne Stunden in der Burg verbracht zu haben.