Marrakesch ist die touristisch bedeutendste Königsstadt von Marokko. Hervorgegangen ist diese aus einem Lagerplatz während der Zeit der Karawanen. Die erste Blütezeit setzte im 11. Jahrhundert ein. Militärische Erfolge bescherten der eigentlich entlegenen Stadt später den Hauptsitz Marokkos. Während seiner größten Ausdehnung gehörten auch Teile Andalusiens im heutigen Spanien zum Einflussgebiet von Marrakesch.
Eindrücke vom Djamaa el-Fna, dem Platz der Gaukler (auch Platz der Geköpften), und der Medina von Marrakesch in Marokko.
Hatte ich bei der Abfahrt in der Blauen Königsstadt Fès noch gedacht, wir könnten Marrakesch bis zum frühen Nachmittag erreichen, lehrt mich die Strecke eines Besseren. 480 Kilometer sind insgesamt zu bewältigen. Über Autobahnen wäre dies in gut fünf Stunden zu schaffen.
Doch abgesehen davon, dass wir immer wieder durch Ortschaften kommen und im Mittleren Atlas mehrmals Höhenlagen von über 1.000 Metern erreichen, werden die Straßen im Süden zunehmend schlechter. So kann Abdul nur selten schneller als 80-90 km/h fahren.
Was passiert, wenn man meint, über die Straße rasen zu können, sehen wir kurz vor Marrakesch: ein Peugeot aus den Niederlanden ist offensichtlich mit den rechten Reifen auf den unbefestigten Straßenrand gekommen, beim Gegenlenken quer über die Fahrbahn geschossen, über den Rand abgehoben und auf einen Betonklotz geknallt.
Als Ergebnis sehen wir das Fahrzeug wenige Meter hinter dem Klotz. Die hintere Achse ist weggerissen und der ganze Rest vom Wagen von vorne bis hinten kaputt. Wie konsterniert sitzen Fahrer und Beifahrer auf einem nahen Absatz, während einige Marokkaner ihnen helfen wollen und die abgerissenen Kleinteile auf einen Haufen legen.
Kurz nach halb sechs erreichen wir schließlich Marrakesch - bei rund 45° Celsius im Schatten! Doch wo gibt es den? »Perle des Orients« und »Rote Stadt« wird Marrakesch genannt. Dabei sollte sie besser »Brutofen« heißen, denn auch diesem Namen würde die Metropole alle Ehre machen.
Und doch muss es in Marrakesch einiges angenehmer sein als im Umland. Anders wäre es kaum zu erklären, warum sich hier einst ein bedeutender Karawanenlagerplatz befand, bevor Abu Bakr, ein Anführer der Almoraviden, den Ort als vortreffliches Lager für seine Truppen erkannte.
Danach folgte der rasche Aufstieg Marrakeschs. Im Jahr 1062 entstanden die erste Moschee und Häuser und anschließend schaffte es Yussuf ibn Tashfin, von hier aus das ganze Land sowie Teile Andalusiens zu erobern. Marrakesch wurde zur Hauptstadt des neuen Reiches und später, über Marrukusch und Marocos, auch zum Namensgeber Marokkos.
Seine strategische Bedeutung hat Marrakesch natürlich längst eingebüßt. Wohl aber zieht es dafür wahre Heerscharen an Touristen auf den zentralen Platz im Zentrum der Medina. Hier gilt es, das laute Leben zu genießen, den Künstlern zuzusehen oder auch einfach zu gucken, was es Leckeres in den Garküchen gibt. Wohl aber sollte man immer aufpassen, dass einem keine fremde Hand zu nahe kommt. Denn auch wenn hier früher die Schurken gerichtet wurden, so hat sich diese Spezies doch bis heute gehalten.
Nach den tollen Eindrücken in Fès el-Bali freuen wir uns, die Medina von Marrakesch kennenzulernen. Ihre Suqs sind die größten in Marokko, doch soll man sich hier dennoch besser zurechtfinden als in Fès. Dies liegt zum einen an den großen Place Djemaa el Fna, aber auch daran, dass es hier eben ist und die Straßen regelmäßiger angelegt werden konnten.
So, wie wir in die Medina einbiegen und zu den ersten Läden kommen, wird unsere Begeisterung leider getrübt. Denn weil alles recht eben ist, gibt es in der Altstadt nur noch wenige Packesel und Mulis, dafür aber umso mehr knatternde Motorräder.
Auch Hamit mag es nicht, denn teilweise werden die Gassen regelrecht vom Dunst der Zweitakter verräuchert, ziehen blaue Schwaden über die Straßen, über das Gemüse, über das Fleisch, die Gewürze und was hier sonst noch so alles angeboten wird.
Gut, auch hier gibt es ein Viertel der Wollfärber, einen Textil-Suq, einen Suq der Holzschnitzer und einen der Kupferschmiede. Da Marrakesch als touristisches Ziel aber viel bedeutender ist als Fès, sind viele Waren und Verhaltensweisen aber nicht mehr so, wie in vielen Reiseführern beschrieben. Nein, oft geht es hier nur darum, den Vorbeigehenden irgendwelche Sachen aufzuschwätzen, wie bei einem Färber, der uns erst die Qualität seiner Naturfarben und Stoffe vorführt, bevor er von Annette wissen will, welcher von zwei Stoffen sich besser anfühlt, welche Farben sie bevorzugt, ob er ihr lieber ein Halstuch oder ein Schultertuch verkaufen soll...
Da ist es doch angenehmer, sich den Innenhof einer restaurierten Karawanserei oder die Gemälde der Künstler anzuschauen. Na ja, halt mal so im Vorbeigehen. Denn nachdem wir Hamit auf der Dachterrasse eines Cafés eingeladen haben, zeigt er nicht mehr ganz so viel Elan wie bei den ersten zwei Stationen der Führung. Wohl aber fragt er, ob wir in einen Laden mit homöopathischen Produkten gehen möchten? Kaufen müssten wir dabei nichts, erklärt er und drängt uns auch nicht, als wir lieber noch ein paar Gassen anschauen möchten.
Wie von uns gewünscht, führt er uns schließlich zum alten Sklavenmarkt. Laut Reiseführer haben sich hier inzwischen Quacksalber und Gewürzhändler breit gemacht. Doch noch, bevor wir an dem Platz ankommen, dämpft Hamit unsere Erwartungshaltung: »Heute werden dort fast nur noch billige Textilien und Schuhe in schlechter Qualität angeboten.
Dadurch hat der Platz seinen Charme verloren.« Gewürze gäbe es zwar noch, die Geschäfte seien jedoch an den Rand gedrängt worden und die Gewürzpyramiden würden nur noch wegen der Urlauber aufgetürmt. »Die meisten Marokkaner kaufen ihre Gewürze heute in Tüten abgepackt. In den offenen Gewürzen sind zu oft kleine Tierchen.«
Danach ist der Spaziergang beendet und unterhalten wir uns noch eine Weile mit Hamit bei der Moschee der Buchhändler, bevor es zurück ins Hotel geht. Dabei lässt uns Hamit die Wahl, ob wir mit dem Taxi oder der Kutsche zurückfahren möchten. Das Geld, 100 Dirham, hatte er hierfür am frühen Morgen von Abdul bekommen. Wobei die 100 für die Fahr mit der Kutsche gedacht waren. Taxis sind auch für 15 Dirham zu haben.
Als wir auf die Kutsche bestehen, steuert Hamit die nächstbeste an. Oder besser gesagt: die nächstschlechteste, da die beiden Pferde offenbar nicht ausreichend gepflegt werden und stinken. Dafür handelt ihn Hamit auf 70 Dirham herab, rückt am Ende der Fahrt aber nochmals fünf Dirham heraus und verabschiedet sich von uns. Eigentlich schade, denn die Fahrt mit der Kutsche hatten wir uns deutlich schöner vorgestellt.
Einen großen Fehler begeht Hamit schließlich am nächsten Tag, als er beim Abendessen im Hotel auftaucht. Erst sind wir überrascht und halten es für einen Zufall. Und natürlich mögen wir uns mit ihm in der Bar unterhalten. Dort aber behauptet er, Abdul habe ihm kein Geld gegeben, sondern ihm gesagt, dass wir die Stadtführung selber zahlen würden. Wir sind bestürzt. Als ich entgegne, dass wir alles über die Agentur gezahlt haben, schlägt er vor, ich könne ihm das Geld geben und mir von der Agentur zurückzahlen lassen. Er würde mir eine entsprechende Erklärung unterschreiben, damit sie es Abdul abziehen.
Das geht natürlich nicht, weil Geld hinterherrennen für Sachen, die ich schon einmal bezahlt habe, tue ich nicht. Spätestens aber, als ich ihm die Zeit nenne, an der uns Abdul wieder vom Hotel abholt, er aber nicht so früh aufstehen will, dämmert es überdeutlich, dass hier was nicht stimmt. Außerdem bemerken wir, dass Hamit schon eine deutliche Fahne hat, obwohl das Bier in der Bar recht teuer und in kleinen Flaschen verkauft wird. Auch ergibt es keinen Sinn, dass ein Reiseleiter seine Schützlinge am Ende einer Tour einfach laufen lässt, ohne dafür eine entsprechende Entlohung bekommen zu haben.
Später erfahren wir von Abdul, dass sich Hamit bei ihm Geld leihen und einen Vorschuss für die nächste Tour kassieren wollte und ihn andere vor Hamit gewarnt hatten. Ein Verhalten, was wir sehr schade finden. Denn im Erzählen ist Hamit ein ausgesprochen guter Stadtführer, der zudem ein perfektes Deutsch spricht. Hoffen wir, dass er die Kurve kriegt.
Längst sind die Zeiten vergangen, in denen auf dem Djemaa el Fna die abgeschlagenen, auf Lanzen gesteckte Schädel Missetäter von ihren Schandtaten abhalten und Feinden eine Drohung sein sollten. Auch der besudelte und verdreckte Sandboden ist Vergangenheit.
Selbst den Namen, der an die scheußlichen Strafen an Verbrecher und ungeliebte Personen erinnert, würden die Marokkaner wohl gerne auslöschen, nennen sie den »Platz der Geköpften« doch inzwischen den Platz der Gaukler.
Er ist der zentrale Punkt im Leben von Marrakesch, hier trifft man sich, sieht und wird gesehen. Aber wird man auch gehört? Das ist nicht immer gewiss. Denn sobald es Abend wird, ziehen Schlangenbeschwörer und Folklore-Gruppen auf den Platz, die ihre Künste zeigen und mit hektischen Trommeln und Flöten für einen nicht abreißenden Lärmpegel sorgen. Mit wachem Blick verfolgen sie jeden Touristen, damit ja keiner ein Foto macht, ohne dafür einen Obolus zu geben. Fünf Dirham sind dafür angemessen, doch versuchen sie stets, noch mehr herauszuschlagen. So auch der Wasserträger, der extra für uns einen Becher füllt und eine zweite Münze haben will, nur weil Annette die Szene filmt. Bei einem kurzen Nachhaken bleibt es jedoch.
Günstiger sind die Schlangenbeschwörer, die sich - ein gutes Tele sei Dank - in Reichweite eines der Cafés mit Dachterrasse setzen. Es sind sechs, sieben Leute, die wir eine Weile beobachten, wie sie die Schlangen abwechselnd quälen. Wird eine zu lebendig, verschwindet sie kurzerhand unter einem Korbgeflecht. Nein, dafür wollen und werden wir nichts geben.
Lieber spazieren wir an den Orangenständen vorbei, bei denen uns jeder schon von Weitem breit angrinst und frisch gepressten Saft anbietet. Der Preis dafür, drei Dirham, ist lächerlich. Doch anstelle von Leitungswasser haben sie nur ein paar Eimer Wasser dabei, in denen sie die Gläser bereits den ganzen Tag über gespült haben. Das ist selbst uns zu riskant.
Folklore, Garküchen und Schlangenbeschwörer auf dem Djemaa el Fna
Der Djamaa el-Fna ist zweifellos der Platz mit dem meisten Flair in Marrakesch und der Besuch am Abend ein Muss für jeden Touristen. Wie lange er seinen Charme noch behalten wird, ist jedoch ungewiss. Denn wo viele Touristen hingehen, um eine vielfach angepriesene Atmosphäre zu erleben, folgen auch stets die ganz typisch touristischen Sachen.
So geht es abends in erster Linie längst nicht mehr darum, den Geschichten der Märchenerzähler zu lauschen, sondern eher um den schnellen Reibach. So etwa in den offenen Restaurants, bei einer der unzähligen Henna-Frauen oder bei einem kniffligen Spiel. Bei Letztem geht es darum, mit einer Art Angel eine Flasche aus dem Kreis der Umherstehenden zu fischen.