Von der Wehrmauer Tallinns und dem Platz der Türme spazieren wir zurück in die Altstadt und durch die Väilke Kloostri bis zur Pikk. Dort biegen wir links in die Pikk ab. Auf den nächsten Metern ist diese lange Gasse über mehrere kurze Seitengassen mit dem Rathausplatz von Tallinn verbunden, unserem nächsten Ziel des Tages.
Das heißt in unserem Fall besser Ziel für den Mittag. Denn nachdem wir trotz der ungeplant kurzen Nacht schon früh am Morgen aufgebrochen sind und mehrere Sehenswürdigkeiten in Tallinn besichtigt haben, macht sich allmählich der Hunger bemerkbar.
Dabei ist es gar nicht so einfach, ein Restaurant in Tallinn zu finden. Es ist ja nicht so, dass es keine gibt. Das Problem ist nur: allein auf und um den Rathausplatz gibt es so viele schöne Restaurants, dass die Entscheidung schwer fällt.
Am Ende wählen wir die Pizzeria Fellini direkt auf dem Platz. Wie es scheint, haben wir eine gute Wahl getroffen. Denn die Pizzeria ist so beliebt, dass wir noch zwei Runden über den Rathausplatz spazieren können, eh ein Tisch für uns frei wird.
Wer einen Spaziergang durch die Altstadt von Tallinn unternimmt, wird übrigens zwangsläufig immer wieder in die Nähe vom Rathausplatz kommen. Denn auf dem Platz mit dem großen, im Jahr 1404 errichteten Rathaus enden acht Straßen. Wie wichtig der Platz zu früheren Zeiten für Estland war, zeigt eine runde Steinplatte. Auf ihr steht: »Auf dem Rathausplatz befand sich der Nullpunkt des alten Tallinn.«
Mit anderen Worten wurden von hier die Entfernungen gemessen. Im Mittelalter erfuhr der große Platz Bedeutung bei vielen Ereignissen in der Stadt. Hier fanden Märkte, Prozessionen und Turniere statt, wurden für schuldig Befundene an den Pranger gestellt und Gesetze - vom Rathausfenster aus - öffentlich verkündet.
Am Abend zieht es uns erneut zum Rathausplatz. Da es nun ruhiger ist als tagsüber, kommt das Tallinner Rathaus besser zur Geltung. Nachdem im Jahr 1322 erstmals ein Rathaus urkundlich erwähnt wurde,
entstand der gotische Bau zwischen 1402 und 1404. Den Stadtrat sucht man hier - außer bei repräsentativen Anlässen - allerdings vergebens. Er ist 1970 in ein größeres, modernes Gebäude umgezogen.
Heute ist das Tallinner Rathaus das einzige erhaltene Rathaus im gotischen Baustil in Nordeuropa und zugleich eines der Wahrzeichen der estnischen Hauptstadt.
Wer gute Augen hat, sollte sich die Spitze des Turms genauer anschauen. Denn dort hält der »Alte Thomas«, ein Landsknecht, die berühmteste Wetterfahne Estlands in der Hand.
Vor Ort erfahren wir, dass der Rathausplatz von Tallinn im Lauf der Jahrhunderte mehrmals seinen Namen wechselte. Je nach Alter des Platzes und Zugehörigkeit Estlands hieß er Neuer Markt, Deutscher Markt oder auch Schwedischer Markt. 1923 bekam er dann seinen heutigen Namen.
Neben dem Altstadtfest von Tallinn finden hier Openair-Konzerte und verschiedene Märkte statt. Seit 1991 - dem Ende der Sowjetzeit - schmückt ein riesiger Weihnachtsbaum den Rathausplatz in der Adventszeit, um dem herum ein beschaulicher Weihnachtsmarkt zum gemütlichen Bummeln und Glühwein genießen einlädt.
Gut gestärkt setzen wir unseren Rundgang durch Tallinns Altstadt fort. Wir verlassen den Rathausplatz rechts vom traditionsreichen Café Kehrwieder. Über den Durchgang bei der 1422 gegründeten Ratsapotheke - eine der ältesten, noch betriebenen Apotheken auf der Welt - kommen wir in den Weckengang.
Die schmale Gasse verbindet den Rathausplatz mit der Heiliggeistkirche und war im Mittelalter die Straße der Backstuben. Wer sich später frei bewegen möchte, empfehlen wir einen Abstecher ins Baltasar. Das Restaurant befindet sich über der Ratsapotheke und bereitet fast alle Gerichte - auch Desserts - mit Knoblauch zu.
Wir würden gerne die mittelalterliche Küche von Tallinn testen. Dazu gibt es zwei passended Restaurants in der Stadt. Unser Weg zur Olde Hansa führt vom unteren Ende des Kurzen Dombergs durch die Niguliste. Wo sie endet, ist es zu unserer Linken nur noch ein Katzensprung bis auf den Rathausplatz von Tallinn. Wir aber schlendern noch ein paar Schritte weiter und kommen durch die Kuninga zur Olde Hansa.
Das Restaurant gilt in Tallinn als das beste und konsequenteste unten denen mit mittelalterlicher Küche. So verzichtet die Küche zum Beispiel auf Mais, Kartoffeln und Tomaten. Stattdessen stehen Rauchsauerkraut, germanisches Schwein und Kräuter- und Honigbier, aber auch gebackener Käse mit Brot und Lachs mit Lachskaviar und Gemüse auf der Speisekarte.
Weil es in der Olde Hansa während unseres Aufenthalts in Tallinn immer extrem voll war, haben wir auf das mittelalterliche Ambiente verzichtet. Von anderen Gästen aber haben wir erfahren, dass sich der Besuch durchaus lohnt. So sollen die Bedienungen sehr aufmerksam und freundlich sein, ohne dass sie aufdringlich werden,
und die Dekoration mit Kerzen und allem möglichen Zeug aus der Zeit der Hanse gelungen sei. Man muss sich aber auch im Klaren darüber sein, dass hier vor allem Touristen einkehren, worunter die Qualität und das Ambiente bei Hochbetrieb leiden. Das war dann auch der Grund, warum wir uns für das Olevi bzw. Wirulan entschieden haben.
Wen der Trubel hingegen nicht schrecken kann, empfehlen wir einen Besuch im Peppersack, im Pfeffersack von Tallinn. Wie der Name ahnen lässt, ist der mittelalterliche Nachbar der Olde Hansa zwar teuer (also etwas für Pfeffersäcke), dafür aber gibt es jeden Abend um 20 Uhr eine Duellvorführung. Die Speisekarte vom Peppersack bietet dann auch Ofenkartoffeln und Pommes Frites als Beilagen sowie mehrere Grill- und Fischgerichte an.