Die Aareschlucht – Klammwanderung vom Feinsten

Ein erfrischendes und mystisches Naturschauspiel

Sie ist eisig im Winter und herrlich erfrischend an heißen Sommertagen. Vor allem aber ist die Aareschlucht ein beeindruckendes Naturwunder. Über Jahrtausende hat der Aaregletscher ein quer liegendes Kalkmassiv durchbrochen und die Klamm geformt. Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein fürchteten die Menschen die Schlucht.
Die wilden Wassermassen konnten ausschließlich mit dem Boot überwunden werden. Heute führen Tunnel und Stege sicher durch die Geologie. Neben dem Rauschen des Gletscherwassers spazieren wir vorbei an Kalksteinformationen und Gletschermühlen. Sie laden ein zu einer Klammwanderung vom Feinsten.

Rundwanderung durch das Haslital

Unsere zweite Tour bei Meiringen startet ähnlich wie die Wanderung zum Kaltenbrunnen-Moor. Anstatt der langen Anreise beginnen wir selbst den Morgen jedoch bei einem ausgiebigen Frühstück im Hotel Tourist. Mit herrlich knusprigem Brot und einer typischen Ovomaltine stärken wir uns für die nächste schöne Tour durch das Haslital. Bis auf die An- und Abreise soll das Auto bei unserem Meiringen-Wochenende stehen bleiben. Somit verbinden wir die Aareschlucht mit einer schönen Rundwanderung durch das Haslital. Und diese beginnt ein weiteres Mal mit der Nostalgiebahn zum Reichenbach-Wasserfall.

Gemütlich ruckelt die Bahn hinauf zur ersten Aussichtsplattform des Wasserfalls. In der gegenüberliegenden Felswand ist ein weißer Stern gut sichtbar. Er markiert »Das letzte Problem« des berühmten Sherlock Holmes. Genau dort soll er im Kampf mit seinem Widersacher Professor Moriarty in den tosenden Wasserfall gestürzt sein. Heute bildet die Stelle ein beliebtes Ziel vieler seiner Fans.
Leider ist sie etwas unbequem zu erreichen. So begnügen sich viele mit einem Blick aus sicherer Distanz darauf. Dabei ist der Stern wirklich hilfreich. Niemand würde auf die Idee kommen, von dort aus in den Wasserfall zu hüpfen. Ihn überhaupt zu treffen wäre schon ein wahres Kunststück. Den Sturz zu überleben – unmöglich.

Auf dem Kulturweg in Richtung Geissholz

Nach der ersten schönen Sicht auf den Wasserfall steigen wir erneut den Treppenweg hinauf zum Gasthaus Zwirgi. Diese eher gemütlichen ersten hundert Höhenmeter bilden den einzigen nennenswerten Anstieg dieser Tour. Anders als gestern nehmen wir ab Zwirgi den Weg hinab in Richtung Geissholz und Aareschlucht. Wir folgen somit der großen Rundtour auf dem Kulturweg. Nach knapp 200 Metern erreichen wir den Abzweig zum Fußweg entlang dem Reichenbach-Wasserfall hinab nach Schwendi. Wir nutzen diesen für den Abstecher zur Absturzstelle. Nach weiteren 200 Metern stehen wir beim nächsten Wegweiser, keine zehn Meter vom Stern des Sherlock Holmes entfernt.

Die Absturzstelle des berühmten Sherlock Holmes

Auch bei unserer zweiten Wanderung ist es am Reichenbach-Wasserfall sehr ruhig. Beim Stern können wir uns als die am frühen Morgen einzigen Besucher gut Zeit lassen. Eingefleischte Fans haben einen Grabkranz in den Zaun gehängt, liebevoll dekoriert mit Blumen und Efeu aus Plastik. Eine Bronzetafel erinnert an den Absturz des Detektivs am 4. Mai 1891.
Die Inschrift beschreibt die Stelle als furchterregend. Das mag etwas übertrieben sein. Der Abstecher ist sicherlich beeindruckend. Aber der Wasserfall stürzt erst ein gutes Stück weiter in die Tiefe. Und den Zaun braucht es wohl auch nur bei einem Massenandrang und zum Schutz ungeschickter Krimi-Fans.

Abstieg auf dem Kulturweg

Genug vom Heldentrauerplatz britischer Schriftstellerei. Das Ziel unserer zweiten Tour ist ja die Aareschlucht. Wir steigen die paar Meter also wieder hinauf bis zurück zum Kulturweg und folgen diesem nun links durch den Wald. Nach 300 Metern erreichen wir einen Abzweig nach Schwendi. Diesen lassen wir links liegen, kreuzen kurz darauf die Straße und laufen weitere 300 Meter geradeaus durch den Wald. Dann öffnet sich die Landschaft. Vor uns ragt nun das Mährenhorn mit seinen 2.923 Metern in die Höhe. Seitlich zurück blicken wir hinab nach Meiringen. Wir haben Glück. Die Sicht ist heute einiges klarer als gestern. Wo genau die Aareschlucht verläuft, ist von hier aus hingegen kaum auszumachen. Das Schmelzwasser kerbte die Schlucht einst in einen Kalk-Felsriegel, der heute mit Wald überwachsen ist. So sieht man die Klamm weder von den Höhen bei Geissholz noch von der Grimselstraße, die direkt daran vorbei führt.

Durch das Bergdorf Geissholz

Als Nächstes erreichen wir das idyllisch gelegene Bergdorf Geissholz. Für die, die sich schon einmal in Wolldecken von Swisswool gekuschelt haben: Die Wolle für die Decken kommt unter anderem aus dem Dorf Geissholz. Regional werden hier jährlich circa zehn Tonnen Schafwolle gewonnen und verarbeitet. Schafe sehen wir jedoch keine. Sie verbringen den Sommer hoch oben in den Bergen. Stattdessen weiden Kühe und Esel auf den Wiesen am Dorfrand.

Ab der Bushaltestelle Hori folgen wir dem Wanderschild hinein nach Geissholz. So verlassen wir bei der nächsten Straßenkreuzung die Große Rundtour des Kulturwegs und bleiben geradeaus auf dem Wanderweg. Kurz darauf erreichen wir das Geissholz-Wegekreuz. Hier steht auch die Aareschlucht angeschrieben.
Der Zuweg dorthin führt über Lammi an den unteren, westlichen Ausgang. Bei unserer Tour wollen wir indes den Osteingang der Schlucht gemütlich über Wychel erreichen. Somit lassen wir den Abzweig zur Schlucht außer Acht, gehen geradeaus weiter und verlassen Geissholz östlich über einen Feldweg.

Über Wychel zur Ryschibrücke

Der Wanderweg führt nochmals durch den Wald, bevor wir über die Bergwiesen auf den Weiler Wychel blicken. In der Ferne ist die viel befahrene Grimselstraße zu sehen. Sowie wir durch das Dorf hindurch spaziert sind, überqueren wir die Passstraße umsichtig auf Höhe der Tankstelle. Jenseits davon wechseln wir auf den Rad- und Wanderweg, der uns zum Damm der Aare und kurz darauf zur Ryschibrücke bringt.

Die Ryschibrücke ist eine richtig schöne Hängebrücke. Seit 2003 überquert sie mit einer Spannweite von 40 Metern die Aare. Sie gehört jetzt nicht zu den Hängebrücken, welche ein unsagbares Schwindelgefühl bewirken. Sie hängt lediglich acht Meter über dem gekräuselten Wasser der türkisblauen Aare. Andererseits eröffnet sie uns den ersten freien Blick in die gewaltige Schlucht, in der nun die Aare verschwindet. Bemerkenswert ist der Zweck der Brücke. Sie verbindet nämlich den Besuchereingang zur Aareschlucht Ost mit dem in den Berg gehauenen Bahnhof gegenüber. Solche Art von Bahnhöfen gibt es selbst in der Schweiz nur wenige. Und es ist schon ein seltsames Bild, wenn sich die Türen öffnen und plötzlich Menschen zwischen den Felsen hervortreten.

Der Tatzelwurm in der Aareschlucht

Eine Treppe führt hinauf zu einer Schlaufe der Grimselstraße. Nur ein paar Meter weiter befindet sich das Restaurant mit dem Eingang zur Aareschlucht Ost. Augenblicklich lassen wir den Verkehrslärm hinter uns. Kaum haben wir das Kassenhaus passiert, tauchen wir auch schon in eine völlig andere Welt ein. Anders als etwa bei der Breitachklamm im Allgäu, die sich gemächlich in eine Schlucht wandelt, stehen wir hier unvermittelt zwischen den Steilwänden. Aus dem Fels heraus streckt uns ein hölzernes, grünes Ungetüm die Zunge heraus. Es ist der Tatzelwurm, dessen Familie uns durch die Aareschlucht begleiten wird.

Ein Zeugnis der Kreidezeit als erfrischendes Ausflugsziel

Auf der Ostseite der Aareschlucht stehen die Steilwände noch weit genug auseinander, dass die Sonne hineinscheinen kann. Treppen und Stege führen hinab zum rauschenden Bach. Je nach Wasserstand sucht sich das türkisblaue Wasser seinen Weg durch die groben Flusskiesel. Beim Ahornpfad stehen noch alte Ahornbäume auf der Stegseite. Gegenüber ragt jedoch die Schluchtwand an ihrer höchsten Stelle 180 Meter hoch in den Himmel. Es wird kühler. In der Schlucht sind es immer fünf Grad weniger als außerhalb.

Die Aareschlucht ist somit ein perfektes Ausflugsziel an heißen Tagen. Sie sorgt mit ihren kühlen Temperaturen für eine natürliche Erfrischung. Vorbei an einigen Gletschermühlen windet sich die Aare durch den Felsriegel aus hartem Kalkstein. Entstanden ist dieser in der Kreidezeit vor etwa 130 bis 60 Millionen Jahren aus Meeresablagerungen. Während der Eiszeiten erodierte das Gletscherwasser verschiedene Schluchten durch das Gestein. Eine davon ist das 1400 Meter lange und 200 Meter tiefe Naturwunder der Aareschlucht.

Der Schnappschuss eines Berliner Fotografen

Das wilde Wasser machte die Schlucht lange Zeit nur mit abenteuerlichen Bootstouren zugänglich. Über drei Nebenschluchten, die »Trochene Lamm«, die »Lautere Schlauche« und die »Finstere Schlauche«, konnte man in die Mitte der Schlucht gelangen. Liebespaare nutzten diese Zugänge als lauschiges Plätzchen – wohlgemerkt bei stets fünf Grad weniger. Doch bis zu ihrer touristischen Erschließung fürchteten sich die Menschen vor der ihnen unbekannten Schlucht.

Es entstanden Geschichten und Sagen. Richtig durchgesetzt hat sich jedoch nur die Geschichte des Tatzelwurms. Der Berliner Fotograf Balkin will im Frühling 1935 einen furchterregenden Stollenwurm fotografiert haben. Sein Schnappschuss gelangte bis nach Berlin in die Zeitungen und das Oberhasli mit seinem Tatzelwurm geriet in die Schlagzeilen. Das Fabeltier ist heute das Maskottchen der Schlucht.

Erschließung eines Naturwunders

Erschlossen wurde die Aareschlucht aber bereits ab 1888. Eine Initiative von zwölf Männern sorgte für die Finanzierung und Durchführung des ehrgeizigen Projekts. Das erklärte Ziel war damals, die Schlucht für die Holztrift nutzbar zu machen. Dazu entstanden mehrere Stege entlang der Steilwände. Zeitgleich wurde die Bahnstrecke über den Brünigpass fertiggestellt. Ein aufregendes Ziel für den Alpentourismus entstand. Bereits im Jahr nach der Eröffnung erfreute sich die Aareschlucht über eine reiselustige Gästeschar. Es kamen an die 12.000 Besucher zu dem Naturwunder. Und das ganz ohne die heute große Schar an Bloggern und sonstigen Influencern.

Nach der Eröffnung dauerte es noch zehn Jahre, bis die Schlucht durchgehend erschlossen und begehbar war. Die Bahnverbindung durch den Berg erleichterte dabei die Lieferung von Material. Erst später wurde sie für den Besucherverkehr freigegeben. Danach sorgten Aufnahmen und Berichte über die Aareschlucht weltweit für Aufsehen. Nach einer Werbeaktion in Asien setzte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1947 ein regelrechter Besucheransturm ein. Obwohl sich kaum jemand einen Wagen leisten konnte, sollen sich die Autos bis zum Horizont gereiht haben.

Sandbänke beim Großen Runs und die Große Enge

Nach zwei Drittel des Weges erreichen wir den »Großen Runs«. Mit 40 Meter auf dem Grund bildet er die breiteste Stelle der Schlucht. Das hier deutlich langsamer fließende Wasser begünstigt die Bildung von Sandbänken. Wenige Schritte weiter plätschert der Wasserfall des Schräybachs aus der gegenüberliegenden Felswand in den Wildfluss. Ab hier wechseln sich Stege mit Tunneln ab. Wir erreichen den spannendsten Teil der Aareschlucht. Die »Große Enge« zeigt wundervoll geschliffene Erosions- und Kesselformen.

Dabei rücken die beiden Felswände immer näher zusammen. Die Aare fließt auf diesem Abschnitt teilweise unter den Felsen hindurch. Zugleich muss zwischen dem Bach und der Felsdecke noch Luft sein. So wurde einst eine Gams beobachtet, die östlich in den Fluss gefallen war. Ihr gelang es, durch die Schlucht hindurch zu schwimmen, um am unteren Ende unbeschadet wieder aufzutauchen. Ähnlich erging es einem gekenterten Kajakfahrer. Von der ihm geltenden Rettungsaktion hatte er erst später und auch nur durch Zufall erfahren.

Vorlage für Fantasy-Romane

Im unteren Abschnitt der Schlucht stehen die Felswände so eng beisammen, dass sie sich an einigen Stellen beinahe berühren. Wir sind begeistert und merken gar nicht, wie auf diesen letzten Metern die Zeit beim Fotografieren vergeht. Das wenige Sonnenlicht, aber auch die künstliche Beleuchtung schafft eine eindrucksvolle Stimmung. J. R. R. Tolkien hat sich, wie viele andere Schriftsteller, von der Schlucht inspirieren lassen. In seiner Fantasy-Trilogie »Der Herr der Ringe« lässt er den Zauberer Gandalf in eine Schlucht stürzen, die haargenau der Aareschlucht gleicht.

Eine Wanderung durch die Aareschlucht ist in gut 45 Minuten zu schaffen. Wir sind von den vielen Eindrücken jedoch so begeistert, dass wir fast dreimal so lange unterwegs sind. Das Naturschauspiel bildet damit das herausragende Highlight unseres Wochenendes in Meiringen. Etwas fröstelnd kommen wir am westlichen Ein- beziehungsweise Ausgang an. Es ist ein schöner Ort, um sich bei Kaffee und Kuchen wieder aufzuwärmen.

Anfahrt und Anforderungen zur Klammwanderung

Die Anfahrt ist gleich, wie bei der großen Rundwanderung zum Chaltenbrunnen-Moor

AusgangspunktReichenbachfall-Bahn
KoordinatenN 46.71947, E 8.18774
Gehzeit3 Stunden (reine Gehzeit)
Distanz9,1 km
An-/Abstiegeca. 150 HM Auf- und 360 HM Abstieg
GradT 2, leichte Bergwanderung und bequeme Klammtour
EinkehrGasthaus Zwirgi, Restaurants bei den Eingängen der Aareschlucht
Eintritt und ÖffnungszeitenÖffnungszeiten und Preise sowie Infos zur Begehbarkeit sind auf der Seite der Aareschlucht angegeben.
Beschilderungab Gasthaus Zwirgi dem Kulturweg folgen, später in Richtung Wychel und von dort zur Aareschlucht
GPS-DatenWanderung Aareschlucht gpx
kml-DatenWanderung Aareschlucht kml

Wanderkarte zur Klammwanderung bei der Aareschlucht

Höhenprofil

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