Berliner Olympiastadion

erhaltenes Bauzeugnis der NS-Architektur

Unser Abreisetag in Berlin startet trüb und regnerisch. Es ist ein guter Anlass für einen gemütlichen Start mit reichlich Zeit beim Frühstück. Noch einen Latte macchiato? Gerne. Schließlich aber raffen wir uns auf und packen unseren Koffer. Bleibt die Frage, wie wir angesichts der wettertechnischen Tristesse den Tag verbringen sollen?

Unsere Swiss fliegt erst am Abend wieder zurück nach Zürich. Als Lösung setzen wir uns für gut eine Stunde in die Tram und S-Bahn und fahren zum Olympiastadion im Berliner Ortsteil Westend. Die lange Fahrt ermöglicht den Regenwolken, weiterzuziehen. So können wir einigermaßen trocken durch den Wald zum weitläufigen Olympischen Platz spazieren.

Vor uns ragen die beiden Pylone mit den fünf Olympischen Ringen in den grauen Herbsthimmel. Sie markieren das Osttor und den Besuchereingang. Dahinter blicken wir auf das wohl geschichtsträchtigste Sportstadion Deutschlands. Auf der ehemaligen Grunewald-Pferderennbahn entstand bis 1913 bereits das erste »Deutsche Stadion« nach Plänen Otto Marchs.

Hier sollten die Olympischen Sommerspiele von 1916 stattfinden und die Nationen im friedlichen Wettkampf um Medaillen und Anerkennung vereinen. Die Spiele wurden zwar offiziell nie abgesagt. Durch den 1914 ausgebrochenen Ersten Weltkrieg aber war an sportliche Höchstleistungen, geschweige denn an ein friedliches Miteinander, nicht mehr zu denken.

Für die Olympischen Sommerspiele 1936 erhielt Berlin erneut den Zuschlag. Dazu sollte das Deutsche Stadion nach Planungen des Architektensohnes Werner March zunächst nur umgebaut und an den gestiegenen Anforderungen an Sportstätten angepasst werden. Doch der damalige Reichskanzler Adolf Hitler entschied anders. Um den größtmöglichen Propagandaeffekt für das Deutsche Reich zu erzielen, sollte ein Großstadion entstehen.

Die eher filigranen Glasfassaden aus Marchs Plänen passten nicht in das nationalsozialistische Bild. Also wurden sie vom Partei-Architekten Albert Speer durch Werksteinplatten ersetzt. Zusammen mit etlichen weiteren Änderungen und Ergänzungen mauserte sich der Stadionbau zu einem der ersten Großbauprojekte unter Hitler. Bis heute ist es das am besten erhaltene architektonisch Bauzeugnis der NS-Architektur.

Die Fußball-WM von 2006 erforderte einen erneuten Umbau des Olympiastadions. Dabei wurde es zu einer Hightech-Arena modernisiert. Das Dach wurde erneuert und eine lichtdurchlässige Membran schwebt nun über den Zuschauerrängen. Trotzdem musste die im Stadion geplante Eröffnungsfeier wegen möglicher Probleme mit dem Rasen abgesagt werden.

Die Feier fand stattdessen auf der Straße des 17. Juni statt. Anschließend aber konnten zumindest die Spiele auf dem von den Niederländern gelieferten Rasen ausgetragen werden. Sehr zur Freude übrigens unserer fußballbegeisterten Nachbarn, die so sicher gehen konnten, dass das Endspiel auf jeden Fall mit niederländischer Beteiligung stattfindet.

Heute ist der Hertha BSC, die »Alte Dame« aus Berlin, Hauptnutzer des Stadions. Die Tartanbahn um das Spielfeld herum trägt die auffallend blaue Vereinsfarbe des Bundesligisten und verleiht dem sonst immer noch grauem Gebäude ein wenig Leben. Auch im Fanshop ist alles in wunderbarem Blau gehalten. Lars ist deutlich anzusehen, dass ihm die Farben von Werder Bremen lieber wären.

»Lebenslang grün-weiß« eben, da lässt sich nichts dran rütteln. Irgendwann werde ich mit ihm zum Weserstadion reisen und gelobe: Dort darf er im Fanshop nach Herzenslust einkaufen. Bis dahin jedoch muss er sich wohl oder übel mit den Freiburg-Bremen-Spielen in Süddeutschland begnügen. Und doch ist es in Berlin richtig schön, auch mal etwas andere Stadionluft zu schnuppern.

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