Auf der Rückfahrt von den Blauen Nilfällen halten wir am Rand einer Müllkippe der Stadt Bahir Dar. Es ist der sicherste Platz, um Geier in freier Wildbahn zu sehen. Wie sollte es auch anders sein? Schließlich hatten wir ja auch bei unserer Rundreise durch Kanada die meisten Schwarzbären bei einer Kompostieranlage gesehen.
Im Gegensatz zu unserem Bärenerlebnis stellt das Federvieh in der tristen Umgebung jedoch kaum lohnenswerte Motive. So fahren wir bald weiter ins touristische Zentrum von Bahir Dar, wo wir zur Mittagspause eine Saftbar besuchen. Zu mehr reicht es nicht, da wir eine gute halbe Stunde später an den Tanasee fahren.
Mit einer Ausdehnung von 65 auf 70 Kilometer bzw. eine Fläche von 3.000 km² ist der Tanasee der größte See von Äthiopien. Durch seine Lage auf 1786 Meter über dem Meer ist er zugleich Afrikas höchstgelegener See. Allerdings beträgt die Wassertiefe nur durchschnittlich acht Meter. Fällt der Wasserstand in einer Dürrezeit auch nur zwei Meter, muss die Schifffahrt eingestellt werden.
Allein diese Daten, aber auch die Information, dass sich in dem See etliche Inseln befinden, wecken bei uns hohe Erwartungen. Bevor diese erfüllt werden, müssen wir nach dem Start an der Südspitze des Sees jedoch erst eine lange Überfahrt in Kauf nehmen, auf der es nur am Anfang ein paar Pelikane und Kormorane, dann aber rund herum nur trübes Wasser zu sehen gibt.
Um so schöner ist es, als wir nach gut einer Stunde auf dem Tanasee die reich bewaldete Halbinsel Zeghe erreichen. Laut unserer Reisebeschreibung sollten wir dort eigentlich das Kloster Ura Kidane Mihret besuchen. Da der 25-minütige Spaziergang durch den dichten Wald und entlang einer kleinen, von Bäumen überstandenen Kaffeeplantage aber etwas schwieriger sein soll, führt uns Yitbarek stattdessen zum Kloster Azwa Maryam.
Das Hauptgebäude des Klosters Azwa Maryam bildet eine mit Stroh gedeckte Rundkirche. Diese ist nur rund 150 bis 200 Meter vom Bootsanleger entfernt und ebenfalls vom Wald umgeben. Das wird wohl auch so bleiben. Denn die Kirchenwälder der Zeghe-Halbinsel werden als heilig angesehen und bleiben deshalb von Rodungen weitgehend verschont. Entsprechend groß ist die Artenvielfalt: über 100 Baumarten soll es auf den Klosterinseln Tanasee geben.
Bei der Rundkirche von Azwa Marym fallen uns uns die Straußeneier auf, deren Bedeutung uns Yitbarek bei der Marienkathedrale auf dem Entoto-Berg erklärt hatte. Bekannt ist die Kirche jedoch für ihre Fresken und wertvollen Malereien aus dem 14. Jahrhundert stammen. In dem überdachten Rundgang um das Kircheninnere sehen wir wieder einige biblische Motive. Wie bei den Wandbildern im ethnologischen Museum sind auch hier böse Menschen nur seitlich dargestellt.
Zu diesen »Bösen« zählt demnach auch ein großer Fisch, der von einem Heiligen mit einem langen Speer erlegt wird. Auf einem anderen Bild sehen wir einen Mann, der von einem Engel beide Hände abgehackt bekommt. Bei all dem Blut fragen wir uns, woran man nochmal die Guten erkennt? Ach ja, von ihnen ist stets das komplette Gesicht zu sehen. Um weitere Unterschiede zwischen Gut und Böse zu erkennen, braucht es dann aber doch eine fachkundige Erklärung vor Ort.