Nur ein kurzer verträumter Moment reicht und ich falle bei der Doppelschleuse von Ognon fast ins Wasser. Der blöde Wind drückt das Boot mal wieder vom Ufer weg, was es für mich unmöglich macht, es zu halten. Da das Boot schon einen Moment still stand, ist es zugleich Lars unmöglich, es entgegen der Windrichtung zurück ans Ufer zu manövrieren. Stattdessen muss er einen weiten Bogen über den Kanal fahren. Erst im letzten Moment lasse ich los und kann Lars das Seil, das nun der gesamten Länge nach im Wasser liegt, wieder einholen. Peinlich? Nein, andere stellen sich viel schlimmer an.
Fahrt mit dem Hausboot auf dem Canal du Midi von Ventenac über Pechlaurier bis nach Trèbes. Aufnahmen vom Schleusen der Boote und der Landschaft entlang des Kanals.
So scheint es, als will ein Kalifornier in der Schleuse wenden. Beim Wechsel von der unteren in die obere Kammer eckt er wenigstens sechsmal am mittleren Schleusentor an. Nachdem er kurz quer steht, landet er auf der für ihn falschen, rechten Seite, eh er von dort zurück auf die linke Seite gezogen wird. Auch Hausbootfahren will gelernt sein. Denn schlimmer noch ergeht es ihm bei der Ausfahrt.
Da er als zweites Boot herausfahren muss, hat er reichlich Platz, um das Boot erneut quer zu stellen. Völlig verzweifelt setzt er immer wieder vor und zurück, unfähig, das Boot in die richtige Richtung zu manövrieren. Und seine Crew? Sie besteht aus zwei Leuten, von denen einer unter Deck Zeitung liest, während seine Frau ungeachtet des Geschehens um sie herum die Seile für die nächste Schleuse richtet.
Zum Glück greift neben uns ein Franzose mit einem deutlich größeren und stärkeren Boot ein. Im richtigen Moment fährt er langsam vor und drückt die Schnauze von dem anderen Hausboot zum Ausgang. Mit dem Ziel vor Augen gibt der Kalifornier Vollgas, schießt aus der Kammer heraus, um gleich anschließend die nächsten Pirouetten mit dem Boot zu drehen.
Wir beeilen uns, dass wir dran vorbei kommen und hoffen, dass nur das Boot einen Schaden hat und nicht der Lenker. Später erfahren wir, dass die Kalifornier auch gegen Brücken gedonnert sind und die Tour mit einem Totalschaden aufgeben mussten. Seltsamerweise hören wir auch von anderen Kaliforniern, die mit den Booten umgehen, als wären es Autoskooter.
Nachdem wir die nächste Schleuse ohne amerikanische Begleitung nehmen, legt sich die Aufregung. So erreichen wir am Nachmittag Homps, unser eigentliches Ziel für heute. Ein vermeintlicher Parkwächter weist uns ein und Lars kann bereits super rückwärts einparken. Einen Augenblick später radelt ein Mitarbeiter von Le Boat an uns vorbei und ermahnt uns, wir sollen dem Mann bloß nichts geben.
Im Gegensatz zu dem Le Boat-Mitarbeiter hat uns der alte Mann aber geholfen. Also bekommt er sein Trinkgeld. So sehen es auch die Schweizer, die wenig später neben uns anlegen. Sie haben Probleme mit der Lenkung und sollen hier auf einen Mitarbeiter von Nicols warten. Da sich bei Homps eine Station von Le Boat befindet, können wir den Wassertank diesmal umsonst und ohne vorheriges Gerenne auftanken.
Wir unternehmen einen Spaziergang durch Homps. Im Hafen tummeln sich die obligatorischen Restaurants und im Ort gibt es ein paar kleine Läden. Es ist Erntezeit und der ganze Ort riecht leicht gärig. Die Kirchen sind beide fest verschlossen, sodass wir bald davon überzeugt sind: wir können weiter. Am Hafen treffen wir ein Paar aus Südafrika. Sie erzählen uns, dass sie sehr unglücklich sind. In der ersten Nacht wurden ihnen die Räder vom Boot geklaut, weil sie nicht wussten, dass der Schlüssel im Schloss steckt. Wer klaut solche Schrotträder? Da der Vorfall nahe der Le Boat-Station geschah, drängt sich ein böser Verdacht auf. Zumal Le Boat für den Verlust der beiden Räder 300 Euro berechnet.
Eindrücke vom Canal du Midi bei Homps und Trèbes
Wir reisen weiter und überwinden noch in aller Ruhe die Jouarres-Schleuse. Die Ruhe weg hat dort übrigens auch die Schleusenwärterin. Sie öffnet aus der Ferne die Tore und widmet sich dann sofort wieder ihrem Smartphone. Danach nehmen wir noch die Puichéric-Schleuse. Damit liegen insgesamt 20 Schleusen hinter uns. Trotz Stau in Pechlaurier sind wir wieder bestens in der Zeit. So legen wir wenig später einsam zwischen Weinreben und unter herbstlichen, leider auch hier absterbenden Platanen an.
Zugute kommen uns hier die starken Wurzeltriebe der immer noch stattlichen Bäume. Durch sie können wir das zu einer Schlinge gelegte Seil mühelos hindurchziehen. Das erspart uns das sonst fällige Einschlagen der Nägel in den Boden. Hier ist es einiges ruhiger und schöner als in Homps zwischen all den anderen Booten. So genießen wir den Sonnenuntergang, eh wir den Abend mit der nächsten Portion Spaghetti und den nächsten ein zwei Gläsle Wein in trauter Zweisamkeit ausklingen lassen.
Fahrt durch die Schleuse von Aiguille
Der Winzerort Puichéric befindet sich in Sichtweite vom Canal du Midi und unserem Boot. So nimmt Lars am nächsten Morgen das Fahrrad und sucht dort einen Bäcker. Er wird fündig und kommt mit frischem Baguette sowie zwei leckeren Quiches zurück. Prima – wir können frühstücken.
Um 8.30 Uhr stehen wir somit schon vor der ersten Schleuse von Aiguille. Der Schleusenwärter scheint ein begeisterter Schrottsammler und Bastler zu sein. Überall stehen Skulpturen herum, von denen auch einige käuflich sind, und bewegen sich melodisch im Wind.
Wir verzichten auf weitere Ortsbesichtigungen und setzen uns Trèbes als Tagesziel. Da wir die meisten anderen Boote hinter uns gelassen haben, müssten wir gut durchkommen. Mit Aiguille, Saint-Martin, Fonfile und Marseillette bringen wir tatsächlich zwei Zweier-, eine Dreier und eine Einfachschleuse gut hinter uns. Erst bei der Trèbes-Schleuse bleiben wir hängen.
Es ist mal wieder Mittagspause. Damit haben auch wir einmal mehr eine dreistündige Mittagsruhe. Auch gut. Mit uns wartet einen Pénichette, ein Hausboot in klassischer Bauweise. Es ist riesig und die Besitzer wohnen mitsamt ihrer Katze auf dem Boot, mit dem sie europäische Flüsse und Kanäle abklappern. Schöne Sache.
Da die Pénichette recht groß ist, passen nur noch wir dazu in die Schleuse. Damit wir überhaupt einfahren können, muss die Pénichette erst schräg vor und dann wieder zurück setzen. Andernfalls würde uns das Heck den Weg versperren. Ein netter Südafrikaner – wo Bootsfahrer so überall herkommen? – hilft uns mit den Seilen. So kann ich auf dem Boot bleiben und kommen wir ohne weitere Blessuren, aber mit allmählich lahmen Fingern in Trèbes an. Hier können wir wieder bei Le Boat umsonst Wasser tanken, eh wir einen Spaziergang durch die Altstadt von Trèbes unternehmen.
Trèbes besitzt eine hübsche Altstadt mit engen Gassen. Doch auch hier ist die Kirche fest verschlossen. Der Languedoc scheint eine diebische Ecke zu sein. Wir spazieren noch über die Brücke des Aude, kehren aber bald wieder zum Boot zurück. Trèbes ist mit 5400 Einwohnern zwar eine eher kleinere Stadt. Gemessen am Straßenverkehr kann es aber gut mit einer Großstadt mithalten.
Und auch wenn unser Hausboot mit laufendem Motor recht laut ist, so merken wir hier, dass wir inzwischen äußerst empfindlich auf den Straßenlärm reagieren. Wir fahren weiter und nehmen noch die beiden Schleusen bei Villedubert und Evêque, bevor wir uns wenige Kilometer vor Carcassonne ein grünes Nachtrevier unter Platanen suchen.
In der Nacht vor Carcassonne können wir tief und fest schlafen. Da wir ein gutes Stück außerhalb der Stadt angelegt haben, bleibt es die ganze Nacht über himmlisch ruhig. Nicht ein Laut ist zu hören. Erst am Morgen fällt uns auf, dass wir nicht einmal die Bilgepumpe gehört haben. Die ist nämlich ausgefallen, zumindest deren Automatik. Fortan läuft sie nur noch, wenn wir sie manuell einschalten. Toll! Was passiert, wenn wir sie vergessen?
Gehen wir dann unter? Wir werden sehen – bis jetzt hält sich unser Schiff noch wacker über der Wasseroberfläche. Trockenen Fußes können wir damit frühstücken, eh wir auch schon aufbrechen. Wir wollen möglichst früh an Carcassonne vorbei. Dort werden die meisten Bootsfahrer des hinter uns liegenden Pulks einen längeren Halt einlegen. Uns kommt dies ganz gelegen, da wir uns so auf einen weiteren ruhigen Tag freuen können.
Kurz vor Schleusenöffnung stehen wir also vor der Fresquel-Schleuse. Dort treffen wir ein spanisches Paar, das etwas seltsam geparkt hat. Ihnen ist leider der Motor kaputt gegangen, sodass sie vor der Schleuse übernachten mussten. Das ist doppeltes Pech, denn direkt oberhalb vom Kanal verläuft eine der Hauptzufahrtsstraßen nach Carcassonne, sodass auch der Warteraum unterhalb der Schleuse vom Straßenlärm beschallt wird. Inzwischen haben wir schon einige Bootsschäden bei anderen mitbekommen. Neben einer guten Vorbereitung und etwas Geschick sollte man wohl auch etwas Glück für eine Bootstour mitbringen. Verglichen damit ist unsere ausgefallene Bilgepumpen-Automatik nicht mehr als Tinnef – zumal der Kanal am Rand ohnehin nur 70 Zentimeter tief ist.
Die Fesquel-Schleusen zählen zu den interessantesten Schleusen auf dem Canal du Midi. Erst kommt eine Einzelschleuse, dann ein größeres Becken mit leicht ovaler Form wie bei den Schleusenkammern. Keine 200 Meter weiter folgt schließlich eine Doppelschleuse. Gerade mal 800 Meter weiter steht die Schleuse von St. Jean an. Von dort sind es nochmals zweieinhalb Kilometer bis nach Carcassonne. In der Schleuse wird uns bereits ein Liegeplatz bei Carcassonne angeboten. Nein, auch wenn die Festungsanlage richtig toll ist, wollen wir lieber weiter. Außerdem sind wir etwas enttäuscht von der Hafenanlage Carcassonnes. Diese hatten wir uns einiges idyllischer und mit weniger Großstadtcharakter vorgestellt.
Eindrücke der Fahrt auf Canal du Midi bei Homps und Trèbes
Wir wollen noch vor der Mittagspause die Doppelschleuse von Lalande schaffen. Während wir bei La Douce und Herminis alleine und schnell durchkommen, stellt sich bei Lalande scheinbar doch noch eine Wartezeit ein. Als ich beim Schleusenwärter nachfrage, quittiert er dies mit einer leicht genervten Antwort. Kein Wunder, denn die drei Boote in der Schleuse machen alles andere als das, was er ansagt. Es sind englische Rentner und Südafrikaner, die alle kein Französisch verstehen. Der arme Wärter indes kann kein Englisch. Ich übersetze für ihn, wofür er ganz dankbar ist und danach nur noch mir zeigt, was in dieser Schleuse zu tun ist.
Während die Südafrikaner bald machen, was von ihnen verlangt wird, reagieren die Rentner beleidigt. Blöd nur, dass die Schleusentore nicht geöffnet werden, solange sie ihre Seile nicht im Griff haben. Ich löse die verfahrene Situation mit einem knappen, aber bestimmten Anraunzer. Dieser wird zwar mit einem weiteren beleidigten Blick vom alten Mann beantwortet, dafür aber gehorchen nun auch die Rentner. Na endlich! Auch wenn die Siesta am Canal du Midi heilig ist, schleust uns der Wärter anschließend doch noch nach oben. Wer sagt's denn? Wir liegen wieder im Zeitplan!
Fünf Schleusen bringen wir am Nachmittag noch hinter uns, dann haben wir genug geleistet. Das Wetter ist so schön. Wir verzichten auf die Besichtigung weiterer Ortschaften und legen in der Nähe von Villepinte an. Wir genießen die warme Dusche und lassen uns die letzten Mockturtle mit Spaghetti schmecken – was will man mehr?
Die restliche Zeit vom Tag verbringen wir im Freien, schlürfen Cuba Libre und beobachten die Kinder vom Wohnboot gleich gegenüber. Diese schwimmen doch tatsächlich in dem Gubbelwasser vom Kanal. Den Franzosen graust es anscheinend vor gar nichts, zumal das Baden im Canal du Midi auch wegen der Bakterien verboten ist.