Eine handvoll Züge am Bahnhof Chisinau

Moldaus winzige Drehscheibe des Schienenverkehrs

Unser nächstes Ziel ist der Bahnhof Chisinau. Um auf den richtigen Weg zu kommen, kehren wir auf den Boulevard Stefan cel Mare zurück. Allmählich verlassen wir die Altstadt von Chisinau und sind bald umgeben von Plattenbauten aus der sozialistischen Ära. Laute Musik und viele Leute locken uns zum UNIC-Gebäude, dem Zentralkaufhaus.

Flugblätter informieren auf Russisch über das Anliegen der Leute. Ihre Beweggründe bleiben uns also unbekannt. Der ausgediente Brunnen vor dem Kaufhaus dient jetzt als Bühne, wo Kinder auf Salsa-Rhythmen tanzen. Eine schöne Sache, doch allzu bald werden sie von einer jammernden und heulenden Oma abgelöst.

Platz der Vereinten Nationen und das Denkmal der Befreiung

Passend zur Veranstaltung erreichen wir kurz darauf den Platz der Vereinten Nationen. Mit wallendem Kleid und wehendem Haar triumphiert dort eine Frau als Denkmal der Befreiung. Ein Sowjetsoldat mit Schwert steht ihr schützend bei. Wir indes trauen uns schutzlos in die Fußgängerunterführung, um den breiten Boulevard zu queren.

Unheimlich, vergammelt und kaputt – an solch einem unterirdischen Ort rechnet man eigentlich mit Gangstern. Doch nur die wenigsten Touristen werden sich hierher verirren. Somit gibt es hier normalerweise auch nichts zu holen.

Obwohl das Bahnhofsviertel ärmlich wirkt, führt uns der Weg zu einem prunkvollen Brunnen vor dem Bahnhofsgebäude mit den orientalischen Bögen. Natürlich braucht es auch auf solch einem Platz ein Denkmal. Dieses erinnert an die Opfer des Kommunismus.

Doch das Hauptaugenmerk liegt auf dem 1888 erbauten Gebäude, welches den vorherigen Holzbau ablöste. Die Stadt erhielt ein repräsentatives steinernes Bahnhofsgebäude, mit hübschen Läden, beliebten Cafés und einladend gestalteten Warteräume.

Deutsche Kriegsgefangene wurden nach dem Krieg für den Wiederaufbau herangezogen. Aus dieser Zeit stammt zum Beispiel die prunkvolle Fassade. Eine der wichtigsten Zugverbindungen war früher die Linie über Tiraspol nach Odessa.

Mit dem Transnistrien-Konflikt erlitt der Schienenverkehr jedoch seinen bislang stärksten Einbruch. Als eine Folge fristet der Hauptstadtbahnhof bis dato ein eher bedeutungsloses Dasein für Einheimische wie auch Touristen.

Ein Besuch lohnt sich trotzdem. Durch den orientalischen Torbogen betreten wir das blitzblank saubere Gebäude. Bis auf zwei Putzfrauen herrscht im Innern gähnende Leere. Gleiches gilt für den Schalter zum Ticketverkauf. Unbehelligt spazieren wir durch die majestätische Halle. An der Bahnhofstafel sind nur eine handvoll Züge aufgelistet.

Mehr gibt es heute nicht. Und drei der fünf Verbindungen haben Moskau als Ziel. Vom Parterre führen steinerne Treppen in den oberen Stock mit den Ruhe- oder auch Schlafräumen. Anscheinend braucht es solche Einrichtungen, wenn man hier auf den nächsten Zug warten will oder sogar muss.

Wir steigen nach oben und sind überrascht über die Menge an Topfpflanzen. Liebevoll gepflegt, nehmen sie weite Teile der Etage in Anspruch. Überrascht, aber auch erfreut von diesem Kleinod schlendern wir durch die Gänge und Säle, bis … ja bis eine uniformierte Wachfrau auftaucht. Als sie uns anspricht, verstehen wir natürlich kein Wort. Ein rumänisch-strenges »jos« und ihr Fingerzeig nach unten sind jedoch unmissverständlich. Wir sollten zusehen, dass wir wieder runter ins Erdgeschoss gelangen.

Lachend, ausgelöst durch ihren klischeehaften Tonfall, aber hoffentlich nicht beleidigend trollen wir uns. Freundlicher begegnen uns die Wachmänner, die am leeren Bahnsteig kauern und sich mit Schwatzen die Zeit vertreiben. Nur einer sitzt einsam am Eingang zu den Gleisen und kontrolliert, ob auch alle Bahnhofsbesucher ein gültiges Ticket bei sich tragen. Hatten wir uns vorhin durchgeschmuggelt? Egal, wir haben ihn gesehen, den wohl seltsamsten, womöglich aber auch saubersten Hauptstadtbahnhof überhaupt.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!
Neuen Kommentar schreiben